Kolumnen

Unwörter und schlechte Sitten

Tilt ist der größte Feind des Pokerspielers. Aber Tilt kann sich in vielen Lebenslagen einschleichen. Manches bringt mich auf die Palme, auch wenn ich dabei kein Geld verliere. Ich bin vielleicht auch durch mein BWL-Studium geprägt, schon immer ein Prozess-Optimierer gewesen. Beim Kochen, beim Wäschewaschen, beim Autofahren, etc. versuche ich immer, möglichst effizient zu sein. So auch beim Poker. Nur gelingt es nicht immer…

Pet-Peeves
Pet Peeves ist ein Begriff aus dem Amerikanischen und bezeichnet so etwas wie persönliche „Unwörter des Jahres“ oder besser Undinge, die einen selbst sehr nerven. Beim Pokern habe ich einige solcher Pet Peeves. Hier ein paar Auszüge:

Fläsch.
Nein. Hand Nr. 6 (von „X High“, also unten an gezählt) in der Rangfolge der Pokerhände heißt „Flush“. Wie man schon am „u“ im Wort sieht, hat der „ä“-Laut hier nichts zu suchen. Ausgesprochen wird es „Flasch“. Nicht „Fläsch“. Kann man sich doch wohl mal merken, oder??

Raisen „um“ soundsoviel:
Ist Quatsch. Niemand muss wissen, um wie viel geraised wurde. Wichtig ist nur, AUF wie viel geraised wurde, also die Endsumme. Denn sonst verstrickt man sich innerhalb kürzester Zeit in unnötige Additionsaufgaben. Wenn Albert UM 30 erhöht, Berta UM 117, Christa UM 344, Doris UM 1357, wie viel muss Florian dann bringen? Genau. Man raist nicht UM, sondern AUF einen bestimmten Betrag.

Aufstocken beim Bezahlen.
Wir kennen alle die Situation. Ein Spieler hat schon etwas gesetzt und muss jetzt einen Raise bezahlen. Plötzlich geht die Verwirrung los.
„Ich hab schon 15 drin, es wurde erhöht, wie viel muss ich noch bringen?
Egal. Wichtig ist, dass am Ende die richtige Gesamtsumme liegt. Der bei weitem einfachste Weg: Man sagt „Call“ (und gibt somit seine Absicht deutlich zu erkennen), legt die Gesamtsumme rein und NIMMT DEN REST SEINER WETTE RAUS. Durch das äußerst einfache Reinlegen von NEUEN Chips und Rausnehmen der schon gesetzten Chips erspart man sich lange Rumrechnerei. Beispiel: 17 habe ich angespielt, es wird auf 56 geraised. Ich nehme nun meine 17 raus und lege 56 (schon vorbereitete) Chips rein. Keine unnötigen Kopfrechen-Aufgaben. Einfach, schnell, unkompliziert.

Erhöhen auf ungerade Summen, wenn eine einfachere Summe keinen Unterschied macht.
NUR IN LIVE GAMES
Bei Blinds 1-2, die schon in mehreren Spots gecallt wurden, auf 11 zu erhöhen ist unpraktisch. Auf 12 wäre einfacher, denn dann muss jeder Caller genau 10 (meist ein einzelner Chip) nachzahlen.
Ebenso kann man auf 10 erhöhen, statt auf 9. Erspart dem Dealer ne Menge Wechselarbeit und allen Spielern ne Menge Zeit. Trifft natürlich im Internet nicht zu.

Unnützes „Hollywooding“
Unter Hollywooding versteht man beim Poker das mitunter sehr lange andauernde Schauspielern während einer Entscheidungsfindung. Ich habe nichts dagegen, wenn man in Ruhe über seine Entscheidung nachdenkt. Es macht mir auch nichts aus, wenn jemand kurz so tut, als hätte er eine Entscheidung. Beispielt: der Bluff auf dem River wird geraised. Wenn man jetzt sofort wegwirft, dann gibt man Informationen über seine Hand raus.
Aber wenn jemand über völlig einfache Entscheidungen viel zu lange überlegt, den Gegner noch ein paar Mal fragt, „Was hast Du denn?“ und sich ewig Zeit lässt, dann verschwendet er unser aller Zeit. Schneller!!

Anstehen am Gepäckband
Ok, zugegeben, gehört nicht direkt zu Poker. Hat aber einen festen Platz im Leben eines vielreisenden Pokerprofis. Wer kennt das nicht? Man kommt nach einem (manchmal recht langen) Flug am Zielflughafen an, alle gehen mehr oder minder gemütlich an das Gepäckband und warten. Die ersten, die das Gepäckband erreichen, stellen sich in die erste Reihe. Samt Handgepäck und Gepäckwagen. Manchmal auch zwei. Die komplette Familie steht auch noch dort. Und ziemlich schnell ist das Förderband von eifrig nach ihren Koffern ausschauhaltenden Mengen umstellt.
Es folgt die einzig richtige Art, auf sein Gepäck zu warten: alle stehen zwei bis drei Meter vom Band weg. VOR ALLEM DIE WAGEN! So hat jeder, dessen Koffer GERADE vorbeikommt, genug Platz, diesen vom Band herunter zu nehmen und zu seinem Wagen zu rollen. Danach haben die Reisende dann wiederum genug Platz, um mit ihren Wagen vom Band weg Richtung Ausgang zu  schieben. Wer sich direkt ans Band stellt, behindert die ganze Wartezeit für alle anderen. Man rempelt sich gegenseitig an, die Hinteren können ihre Koffer nicht ankommen sehen, die Vorderen können schlecht vom Band weg, wenn sie ihren Koffer endlich haben. Vor allem mit Wagen nicht.
Helft doch nächstes Mal alle mit. Einfach ein bisschen weiter weg vom Band eine ordentliche Reihe bilden. Wer die meisten zum Mitmachen bekommt, hat gewonnen!!

Wenn ihr mal neben mir am Gepäckband steht, habt ihr die Wahl: ihr könnt versuchen, mit mir zusammen die Welt ein kleines bisschen besser zu machen. Oder ihr könnt mich auf Tilt bringen. Wenn ihr es schafft… Ansonsten landet ihr als schlechtes Beispiel in der nächsten Kolumne. – Die Welt wird dadurch vielleicht nicht wirklich besser und auch nicht schöner und gerechter, aber es ware doch irgendwie nett, wenn die lässige Höflichkeit einen klitzekleinen Triumph über die rücksichtlose Brutalität feiern dürfte.

Brutal und rücksichtslos kann man ja dann immer noch im Heads-up sein. Da passt das hin und da sollte es auch bleiben.


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