Kolumnen

Udo Gartenbachs Offener Brief an den Stern bezüglich „Gefährliches Spiel“

Der Stern titelt in seiner Ausgabe vom 10. Juli reißerisch „Gefährliches Spiel“ und beleuchtet den Tod von Johannes Strassmann und die Pokerszene im Allgemeinen. Dieser Artikel sorgte für großes Aufsehen in der Pokercommunity und rief auch Pokerfirma.com Kolumnisten Udo Gartenbach auf den Plan. Er wandte sich in einem offenen Brief an den Stern.

 

UDO GARTENBACH
Hamburg

11. Juli 2014

stern
Gruner und Jahr
Herrn Felix Hutt

Hamburg

„Gefährliches Spiel“, Stern 29/2014

Guten Tag Herr Hutt, sehr geehrte Redaktion,

Ihr Kollege hatte mich im Vorfeld Ihrer Story angerufen und mich um ein Statement zu dem tragischen Tod von Johannes Strassmann gebeten. Ich habe mich mit „kein Kommentar“ enthalten. Wohlwissend, warum. Nun gibt mir Ihr Artikel leider Recht.

Eine leider sehr einseitige Berichterstattung, gepaart mit der Verwendung aller Klischees und Vorurteile, die man  irgendwann, irgendwie und irgendwo schon einmal über Poker gehört hat.
Inhaltliche Fehler sind Ihnen vorzuwerfen, ebenso wie Pauschalierungen, die für jede andere Branche, für jede andere Sportart, Freizeitbeschäftigung und auch Berufsgruppe einsetzbar sind.

Sie entsenden extra einen Mitarbeiter nach Las Vegas, um mit der Community und mit Spielern zu reden. Herauskommen sind dabei zwei Sätze von Daniel Cates. Deutsche und deutschsprachige Spieler, die Johannes Strassmann sicherlich aus näherer Distanz kennen, kommen nicht zu Wort. Oder sie wollten nichts dazu sagen, was Sie nicht näher verwundern wird.

Ebensowenig verlieren Sie kein einziges Wort über die grosse Pokercommunity, die wir in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland (also auch Ihre Zielgruppe) haben. Kein einziges Wort über die Schockstarre dieser Spieler, kein Wort über die Trauer, die Millionen Pokerspieler erfasst hat. Und auch keine Darstellung Ihrerseits, das die breite Masse der Pokerspieler (von denen es in Deutschland Millionen gibt) Poker als Hobby, als Spass, als Freizeitbeschäftigung ansieht. Eine Community und gesellschaftliche Ebene, die es vergleichbar hinsichtlich Quantität und Qualität nur im Fussball gibt.
Kein Wort über die Faszination von Pokern und die menschlichen Komponenten. Kein Wort über das gesellschaftliche Phänomen Poker. Nicht umsonst ist Poker in den letzten acht Jahren gewachsen wie keine andere Branche.

Lassen Sie mich auf nur einige inhaltliche Aspekte eingehen; beginnen wir direkt mit der Headline. Suggestiv, reisserisch, dümmlich, falsch. Das „ein Pokerprofi tot aus einem Fluss geborgen“ wird, ist eine sehr, sehr tragische Angelegenheit. Jedoch ist ein kausaler Zusammenhang mit seinem Beruf und seinem viel zu frühen Tod nicht ansatzweise bewiesen.

Leider geht Ihr Artikel im selben Duktus weiter.
Bereits im ersten Absatz schreiben Sie über „mehr als 85 Millionen Menschen, die regelmässig online spielen und das Geld verlieren“. Glauben Sie ernsthaft, das niemand dieser Menschen gewinnt ? Das wirklich alle 85 Millionen Spieler verlieren ? Zumal Sie sich in selten deutlicher gelesener künstlerischen Journalistenfreiheit schon zwei Sätze später selber widersprechen – „immer mehr Pokerprofis leben davon“.

Formulierungen wie „Das Spiel ist ein globales Geschäft, das nichts weniger als Negativschlagzeilen gebrauchen kann“ ist eine Plattitüde aus dem Phrasenbaukasten einer jeder Redaktion. Ich bin mir sicher, diesen Satz werde ich in den nächsten Ausgabe des stern noch 15-mal lesen; denn er passt zu jeder Branche. Kein Automobilbauer, keine Kühlschränke-Hersteller und auch kein Wochen-Magazin hat gerne Negativschlagzeilen.

Ihr Statement „die Pokerwelt kann egoistischer und materialistischer nicht sein“ ist nicht nur falsch, vielmehr gegenüber dem Großteil aller Spielern eine Unverschämtheit. Jedes Spiel hat natürlich einen egoistischen Sinn, nämlich den, zu gewinnen. Die Pokerwelt hingegen besteht aus, wie schon angemerkt und wie von Ihnen in Ihrem Artikel ignoriert aus einer immens grossen Menge von Menschen, die genau das Gegenteil dessen praktizieren. Poker ist ein Gemeinschaftserlebnis und bringt Menschen zusammen, wie keine andere Sportart, kein anderes Hobby. Ausser Fussball, aber da wiederhole ich mich. Die Liebe zu dem Spiel eint die breite Community. Und die gesellschaftliche Relevanz.

Ihre Aussage „abgesehen von prestigeträchtigen Turnieren wird fast nur online gepokert“ zeugt sehr deutlich von Ihrer Nichtkenntnis der Pokerszene. Eindeutige Zahlen über Live-Poker und entsprechende Turniere in allen Preislagen hätten Sie mit leichter Recherchetätigkeit sehr schnell herausbekommen.

Ihre Aussage betreffend der WSOP in Las Vegas, das „Pokerprofis auf fischige Amateure warten“ weil diese sich verraten durch eine Lesbarkeit, stimmt in dieser globalen Aussage nicht. Die letzten Jahre hat beispielsweise kein einziger Profi mehr das von Ihnen angesprochene Event in Las Vegas gewonnen.

Die Aussage „das die Pokerwelt keine Tag kennt und in ihr immer Nacht ist“ ist an platter Dümmlichkeit nicht zu überbieten. Entschuldigen Sie meine harsche Wortwahl; aber mir fällt auch nach längerem Nachdenken keine andere Formulierung dazu ein.

Ihre Behauptung, das „2144 Spieler an Tag 2 der WSOP in das Spiel eingestiegen sind“, ist nicht ganz richtig. Einsteigen kann man nicht an einem zweiten Tag, das kann man nur an den diversen Starttagen, die alle die Bezeichnung „1“ tragen. Völlig falsch hingegen ist die weitere Aussage „das auch sie in ein paar Stunden desillusioniert nach Hause fahren“. Dieses stimmt schlicht und einfach nicht. Ein Großteil dieser 2144 Spieler, die an diesem Tag gespielt haben, sind weitergekommen. Und dürfen weiter spielen. Um Ehre, Ruhm und Geld. Der Grund, warum man spielt. Jedes Spiel übrigens. Ihre Behauptung ist schlicht und einfach falsch. Und das ist auch keine journalistische Deutungshoheit – es ist einfach nur eine falsche Behauptung.

Das allerschönste aller Klischees aber haben Sie sich noch aufgehoben. „Viele besuchen Stripteasebars, um mit leichten Mädchen und Alkohol wieder runterzukommen“. Wurde das im Rahmen dieses Artikels investigativ recherchiert ? Wie viele sind „viele“ ? In prozentualem Vorkommen mehr als bei Aussendienstmitarbeitern ? Oder bei Versicherungsangestellten ? Sind mehr Pokerspieler in entsprechenden Etablissements anzutreffen als beispielsweise „viele Journalisten, die nach stundenlangem Recherchieren und Schreiben Striptease-Bars besuchen, um mit Alkohol und in Gesellschaft leichter Mädchen wieder runterzukommen ?“ Verzeihen Sie; oder auch nicht; aber das sind Darstellungen, die lächerlich banal sind. Ich bin mir in diesem Zusammenhang sicher, das mehr Pokerspieler als Gebrauchtwagenverkäufer in die Kirche gehen. Ich kann das zwar nicht beweisen, aber in diesem Duktus sind „viele“ Gebrauchtwagenverkäufer ungläubige Mitmenschen, die keine christliche Nächstenliebe zeigen. Auch eine flache und billige Argumentation. Aber wieder mal ein Klischee verwendet. Yippie.

Das soll es für heute an Kritik gewesen sein. Ach ja, ich erlaube mir dieses, weil ich die Branche von aussen und vor allem von innen sehr gut kenne. Ihre Kollegen von der BILD nennen mich Deutschlands bekanntesten Pokerkolumnisten, ich bin Pokerbuch-Autor und selber Vertragsspieler gewesen. Normalerweise; meinem Naturell entsprechend; sehe ich das alles etwas mehr aus einer heiteren, entspannten, teilweise sogar distanzierteren Sichtweise; aber das fällt mir leider nach dem Lesen Ihres Artikels schwer.

Ich werde diese meine Gefühlslage nun gleich vorab an Sie und an die Redaktion mailen, auch wenn es für einen klassischen Leserbrief sicherlich zu lang ist. Ich werde Ihnen dieses Schreiben morgen zusammen mit meinem neuen Pokerbuch in die Post geben. Hier erkennen Sie die Faszination von Pokern und die menschlichen Komponenten.
Aktuell ist dieses Buch nur zwei Wochen nach seiner Erscheinung das bestverkaufteste aller Pokerbücher bei amazon. Das sage ich jetzt nicht, weil ich „ein toller Hengst“ bin, sondern weil es vielmehr die Richtigkeit meiner Aussagen betreffend der Pokercommunity bestätigt. Es beweist die Liebe zum einen nichtgefährlichen Spiel. Nicht gefährlicher als jedes andere Spiel auch.

Diese meine Zeilen werden Sie bald als offenen Brief auf pokerfirma.com lesen können.

Mit herzlichen Grüssen / Udo Gartenbach

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