Kolumnen

Irgendwie dauerte es zu lange

Diese Stadt verwirrt dich und ist schwer zu verstehen, wenn du vorher gerade mal Bombay, Mexico City oder London gesehen hast. Es ist heiss draussen und gänsehautschaffend kalt drinnen in den Räumen, die besser als Hallen bezeichnet werden sollten. Amerikanisches Grössendenken in jeder nur erdenklichen Möglichkeit. Der Jetlag lässt dich Tage lang an den falschen Momenten müde werden und dein Biorhythmus fühlt sich wie Clinton nach der Lewinsky-Rede. Katja Thater sagte in einer Zigarettenpause bei der WSOP, dass sie sich wie schwanger fühle, immer wenn sie nach Vegas kommt. Um drei Uhr nachmittags hat sie Appetit auf Kaffee und Brötchen und morgens will sie ein Steak. Eine verkehrte Welt – Las Vegas.

World Series of Poker! Ich dachte eine ganze Stadt liegt im Pokerrausch, auf der Strasse wird von nichts anderem gesprochen, Sonderausgaben der Zeitungen mit Portrait des Braceletsiegers auf dem Titelblatt. Aber Vegas rennt seinem gewohnten Alltag hinterher und gepokert wird ohnehin das ganze Jahr. Die Menschen welche hier ihr Leben verbringen zeigen für die WSOP ebenso viel Interesse wie ein Pokerspieler am Leben eines Curlingwischers aus der Kreisklasse Nord. In einem Fotofachgeschäft fragte mich der völlig falschbesetzte, aber ausserordendlich freundliche Verkäufer, was ich denn in Vegas tue, als ich, in vermeintlicher Selbstverständlichkeit WSOP sagte, antwortete er: „Ahh, Wrestling“.

Ein Gebäude von außen eher unauffällig, oder nur in Vegas unauffällig, beherbergt das weltgrösste Pokerturnier. Im Inneren endlos scheinende Gänge mit Toren (amerikanische Türen sind einfach größer als andere, weil in Amerika alles größer sein muss und in Vegas muss es noch ein wenig größer sein als im restlichen Amerika) die zu den Hallen führen, welche in Summe 300 Tische oder anders gesagt, Platz für 3000 Spieler bieten. In den Gängen herrscht eine Stimmung von Wiedersehensfreude bis hin zum ehrfürchtigen Staunen, weil Phil Hellmuth im Gespräch mit Mike Matusow wie selbstverständlich den Gang hinuntergeht und im Vorbeigehen noch die Ehefrau von Mark Gregorich begrüßt. Ein jährliches Familientreffen mit internationaler Beteiligung. In den Sälen das Geräusch welches entsteht wenn hunderte Spieler ihre Chiptricks auspacken. Zwischen den Tischen laufen Mädchen herum und verkaufen Süssigkeiten, so wie vor Jahren Zigaretten an den Mann gebracht wurden und der amerikanischen Doppelmoral tributzollend, in Röcken die kürzer sind als das Lächeln von Huck Seed.
Irgendwie dauerte es zu lange, aber jetzt ist Werthan angekommen.


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