Kolumnen

Mandelstam und das versteckte Glück

Mandelstam spricht zum Beispiel sieben Sprachen fließend, aber wahrscheinlich keine einzige wirklich richtig. Das ist aber zugegeben nur eine Vermutung meinerseits. Das mit dem richtig sprechen meine ich. Sicher hingegen parliert er in allen Sprachen mit allen sieben verschiedenen Akzenten gleichzeitig.

Mandelstam hat viel Geld und wenig Zeit und über diese definierte Spiegelbildlichkeit unserer Lebensumstände ergänzen wir uns in wahrer Harmonie. Er verkauft ungarischen Wodka in Rumänien und rumänischen Paprika in Ungarn. Oder umgekehrt. So genau will ich das lieber gar nicht wissen und vielleicht viermal im Jahr kommt er nach Wien, weil er Geschäfte hat und wir treffen uns dann auch, weil wir das so wollen.

Am ersten Abend treibt es Mandelstam dann hinaus in die Nacht. Ins gedämpfte Licht, wo die Mädchen immer nett sind und immer gierig. Dann zum gut gelaunten Türken, der sich so gar nicht ehreamtlich um den Vertrieb der verfeinerten Produkte der kolumbianischen Bergbauern kümmert. Und dann mit frischer Kraft und frischer guter Laune dorthin, wo die Kugel rollt und wo sich Mandelstam nach kurzer Zeit dann doch langweilt. Poker ist besser. Poker ist spannender. Der Bank kann man keine Angst machen. Die vom Casino schwitzen nicht einmal beim Gewinnen. Poker und Wodka kommt da viel besser  – aber nicht das eigene Zeug, sondern den teuersten und die kleinen Gläser müssen kalt sein wie das Herz vom Mädchen davor.
Der höchste Tisch natürlich und Geld wird rausgelegt, was Platz hat und erlaubt ist. Am Schluss ist alles weg. Selbstverständlich ist alles weg. Konsequent und ohne Plan verarbeitet.
Dann zieht sich Mandelstam zurück in sein stets reserviertes feines Hotelzimmer, schläft den Schlaf des gerechten Verlierers und träumt in sieben verschiedenen Sprachen kleine schmutzige Träume.

Irgendwann am nächsten Nachmittag, wenn alle ordentlichen Menschen längst dabei sind, ihr Tagwerk zu verrichten, bleibt dann Zeit für unser traditionelles Frühstück im mindestens so traditionellen Cafe Ritter. Gewöhnlich diskutieren wir dann über Mahmud Ahmadinedschad, Paul Auster und Rapid Wien. Genau in der Reihenfolge, weil das Wichtigste ruhig zum Schluss kommen darf.

Diesmal war alles ein wenig anders. Deutlich anders.

Mein Freund Mandelstam schien zu schweben. Einen Meter über dem knarrenden  schwarzbraunen Parkettboden. Mindestens einen Meter. Konservativ geschätzt. „Weißt du was mir passiert ist? Hast du eine Vorstellung mein Freund, was mir passiert ist? Eben jetzt. Praktisch gerade. Ich glaube es noch immer nicht!“ Natürlich wusste ich es nicht und neugierig war ich und deshalb schwieg ich, um ja nicht falsch zu machen.

„Schau ich bin ja nicht dumm, aber ich bin eitel. Wenn ich weggehe, ist das Geld auch weg. Das ist klar. Das hat so seine Ordnung und ist mir egal. Und weil ich niemand eine Schande machen möchte, nehme ich mir mit, sagen wir 50 000 Dollar. Ist ja kein Geld mehr der Dollar. Und dann geh ich ins Casino und dann trinke ich und spiele ich und trinke ich und spiele ich und dann wach ich auf in meinem Hotelzimmer und immer habe ich Kopfweh und keinen Schein mehr in der Tasche und hasse mich dann doch. Schon wegen dem Kopfweh. Und heute wache ich auf und habe besonders Kopfweh und hasse mich besonders. Denke mir kaltes Wasser. Einfach viel kaltes Wasser brauche und deshalb gehe ich ins Badezimmer. Da liegt mein Hemd. Schlampig liegt mein Hemd über dem Waschbecken und ich nehme es weg und was glaubst du passiert dann?“

Ich wusste es nicht. Natürlich wusste ich es nicht, aber ich wollte es wissen. Schnell und unbedingt und deshalb sagte ich wieder nichts und zuckte nur in gar nicht gespielter Hilflosigkeit zart mit meinen Schultern. Mit allen beiden sogar.

„Ich habe so Kopfweh und ich will das Wasser aufdrehen und da hängt dieses Hemd und wie ich dieses Hemd da wegnehme, weil es stört und nicht nass werden soll, fallen mir 10.000 Dollar aus der Hemdtasche. Die habe ich doch glatt vergessen zu verlieren. Kannst du dir das vorstellen. Die sind mir irgendwie quasi entgangen und deswegen habe ich sie behalten. Und weißt du wie ich mich jetzt fühle? Kannst du dir nur irgendwie vorstellen, was ich jetzt für ein Gefühl habe? – Ich fühle mich wie ein Sieger. Endlich weiß ich wie das ist wenn man sich wie ein Sieger fühlt nach einer Pokernacht.“

Jetzt wusste ich, warum mein Freund so zu schweben schien und gerade als ich dann doch etwas sagen wollte, kam der livrierte Kellner und ich bestellte mir zum weichen Ei eine Extraportion Schinken, weil ich wusste, Mandelstam würde bezahlen, weil er mein Freund war und weil er es sich leisten konnte. Besonders heute konnte er es sich leisten. Mandelstam war jetzt ein Sieger. Irgendwie zumindest.


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