Kolumnen

Wenn Welten aufeinander prallen

Jetzt ziehen mich insgesamt zehn Typen in Ihren Bann, während die Deutsche Pokermeisterschaft auf Level 6 durch die Nacht wabert. Vor den abgezockten Jungs liegen round about 20.000 Euro und wenn einer ein paar Fünfhunderter verloren hat – shitegal! Hängt ja noch genug drin, in der silbernen Geldspange aus der Sakkotasche.

Sie spielen Omaha Pot Limit, sie raisen und bluffen, einige mit kalter Miene, andere garniert mit lauwarmen Scherzen. Währenddessen flüstert mir ein Kollege die geschriebenen – und ungeschriebenen Spielregeln ins Ohr. Zu Letzteren gehört, nicht zu ausführlich über solche heißen Geldtische zu schreiben. Na gut. Wir sind zwar in der Spielbank und hier ist fast alles erlaubt, aber eigentlich bin ich ja sowieso wegen der Deutschen Poker Meisterschaft im Texas Hold’em No Limit hier.

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Mickey Finn

Als ich vor rund sechs Stunden die Bildfläche betrat, tippte mir ein schwarzer Boss Anzug mit bereits grau melierten Haaren an den Arm: „Die sehen ja aus wie im Fernsehen“, sagte er ehrfürchtig. „Das sind ja auch die aus dem Fernsehen“, entgegnete ich trocken. Wir schwiegen und dachten hoffentlich beide das Gleiche: Sonnenbrillen-Marketing-Menschen sollten mehr Werbegeld in Pokerspots stecken. Vielleicht dachte er aber auch nur: „Idiot!“. Als Testimonial würde sich zum Beispiel Mickey Finn oder Shahin anbieten. „Ich kann zwar auch ohne Brille spielen,“ versichert der Hamburger, „aber ich mag es einfach nicht, wenn mir die anderen in die Augen gucken.“ Hab ich mir doch fast gedacht… Und was für Musik spielt ihm sein Ipod auf die Ohren? „Black Music“. Alles klar – weiter machen!

Für Sonnenbrillen Reklame gänzlich ungeeignet ist übrigens Soraya „Bibidel“ Homam. „Ich trug noch nie Sonnenbrille beim Spiel und werde auch nie eine tragen. Mir reicht die Lesebrille.“ Dafür gönnt sich die ehemalige Schachtrainerin ja andere Extravaganzen. Nein, nein – ich meine nicht den todschicken braunen Hosenanzug vom Freitag, sondern die schwarze Zigarettenspitze an der sie so lassziv zieht. „Das Pokern hat mich zum Raucher gemacht, “ erzählt sie mir. Davidoff! Als sie sich in das Kartenspiel verliebte, waren nur quarzende Kerle um sie herum. Sie ergab sich in ihr Schicksal und raucht seit nunmehr 15 Jahren munter mit.

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Sebastian Ruthenberg

Ob Sebastian Ruthenberg raucht, entzieht sich noch meinem Kenntnisstand, aber fingerfertig ist der Weltmeister allemal. Wenn er unter Strom steht, spielt er permanent mit drei Chips in der rechten Hand. Zwei öffnen sich einen Spalt breit, der Dritte tanzt darauf herum und rutscht nach einer geschickten Drehung schließlich dazwischen. Gerade hat der 24-Jährige, der insgesamt schon über 1,8 Millionen Dollar beim Pokern gewonnen hat, wieder einen fetten Pott eingestrichen und ich spüre akut das Bedürfnis, auch Geld zu gewinnen. Und zwar schnell. Selten war der Weg zur ersten Million so kurz – entschlossen schlendere ich an die Roulette-Tische im großen Spiel.

Da meine Garderobenmarke die Nummer 27 ist und ich an einem 27. geboren bin, soll mich die 27 glücklich machen. Startkapital 50 Euro oder sagen wir lieber 5000. Man muss in einer Pokerkolumne ja nicht immer streng bei der bescheidenen Wahrheit bleiben. Ich setzte auf Sechser-Pakete inklusive der 27 und in den folgenden sieben Runden fallen die 22, 28, 5, 6, 22, 24 und 28! Dann bin ich pleite! Warum? Ich setzte am falschen Tisch! Dumm gelaufen. Trotzdem beruhigte ich mich rasch über den Verlust – bei Hamburgs Rotlichtlegende Karl-Heinz Schwensen, lief es nämlich auch nicht viel besser.

Auf dem Weg zurück in die Pokerhölle vibriert es in meiner Hose. Eine gute Freundin ruft an und will wissen, was ich gerade so treibe. Ich erzähle sinngemäß von Zockermillionären, Roulette-Kesselgucken, Kiezgrößen und durchgestylten ausländischen Mitbürgerinnen, die diese im Kasino umflattern wie die Motten das Licht. Ich bestelle den nächsten Gin-Tonic und frage, was sie denn eigentlich gerade so treibt: „Ich korrigiere die Religionstests aus Klasse 3!“ Sie ist Grundschullehrerin und ich liebe es, wenn Welten aufeinander prallen…


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