Pokerstrategie

Am Anfang steht das Entry

„Re-Entry – Ja oder Nein“ ist eine spannende Frage. Das Nachdenken darüber deckt erschreckend unlogische Gewohnheiten auf. Hinterfrage ich diese, so komme ich auf die eigentliche Frage: warum spiele ich Poker?

Mein persönliches Pokerspiel setzt sich aus Motiven zusammen, die ich seit zwei Dekaden immer bewusster wahrnehme und lebe. Begonnen hat mein Kartenspiel mit Schafkopf, einem technisch etwas komplizierten Spiel für 4 Spieler. Von meinem Vater gefördert habe ich sehr früh sehr intensiv und teilweise auch sehr teuer gespielt. Dabei habe ich mich gern mit den Besten gemessen.

Die Stärken von Poker habe ich dann mit etwa 15 Jahren mehr und mehr zu schätzen begonnen. Beliebig viele Spieler können beliebig schnell gegeneinander spielen. Es ist unheimlich einfach mit dabei zu sein. Zudem darf man die meiste Zeit sein Blatt verbergen, wird mit seiner eigenen Idee vom Spiel zufriedengelassen.

Heute mit 37 Jahren blicke ich mit gefühlter Überlegenheit auf meine Gedanken von früher zurück. Es dauert ein wenig bis ich begreife, dass sich nichts geändert hat. Ich werde wohl auch mit 38 „überlegen auf den naiven 37-jährigen von damals“ blicken. Es dauert erneut ein wenig bis ich begreife, dass dies ein großes Kompliment an die Tiefe des Pokersports und ein bisschen auch an meine anhaltende Lernbereitschaft ist.

Mein heutiges Wissen über das Spiel sagt mir Folgendes:
– Am Pokertisch herrscht purer Wettkampf. Mein Kartengeheimnis, mein Stack und ich stehen allein gegen alles andere.
– Ich gewinne eine Hand genau auf eine von zwei Arten: die beste Hand im Showdown oder aber als einziger im Spiel.
– Es ist meine Aufgabe, die jeweils lukrativste  Handlungsoption zu erkennen und sie auszuführen.

Bestimmt „weiß das jeder“ und doch hält sich kaum jemand wirklich daran. Am Beispiel der „Re-Entry Frage“ will ich zeigen, was ich meine. Wenn ich ein Turnier spiele, dann habe ich mich gegen manche Alternative entschieden. Gegen Ring Game, aber zum Beispiel auch gegen „zu Hause bleiben“. Ich glaube also an einen Nutzen für mich. Dieser Nutzen kann einfach sozialer Natur sein. Ich zahle eine Fee und habe eine gute Zeit. Dieser Nutzen kann sportlicher Natur sein. Ich zahle für den Wettkampf mit anderen. Für mich ist der Nutzen meist schnöde monetär dominiert. Ich glaube, dass mein Kapital im Preispool gut genug arbeitet, dass es meine gerne auch angenehme Zeit am Tisch rechtfertigt.

Denke ich in dieser Logik weiter, so darf ich nichts gegen Re-Entry einwenden. Denn schlechte Spieler scheiden quasi per Definitionem wahrscheinlicher aus als gute. Somit ziehen mehr schlechte Spieler als gute die Re-Entry Option, was meinen Hebel im Turnier verbessert. Umgekehrt bin ich als Kapitalist im Falle eines Ausscheidens dankbar, ohne zusätzlichen Aufwand einen weiteren Einsatz arbeiten lassen zu dürfen.

Sportlich sieht die Sache anders aus. Geht es um Platzierung und Titel, so macht Re-Entry fairen Wettkampf zur Farce. An dieser Stelle ist es sehr wichtig sauber zu unterscheiden. Turniere, deren Qualifikation über den Gelbbeutel gelöst werden, haben schon für sich keinen sportlichen Wert. Ob Re-Entry oder nicht, ist dann nebensächlich. Wer sportlichen Erfolg in einem erkauften Turnier sucht, der schließt von Beginn an einen Kompromiss. Ich halte es für unlauter in der Frage „Re-Entry oder nicht“ dann plötzlich von Fairness und Sportsgeist zu sprechen. Jeder pocht doch gerne auf die Macht seines Geldbeutels – bis eben einer mit ner dickeren Börse kommt. Dann ist man schnell dabei mit Buh-Rufen.

Ich kann und will nicht werten. Es ist eine große Stärke von Poker, dass es quasi alles zulässt, alle an einen Tisch bringt. Ich kann hier nur teilen, wie ich an die Sache herangehe und jeden dazu einladen, die jeweils für sich brauchbaren Teile mitzunehmen.

Ich spiele immer um zu gewinnen. Ich bin, wie ich es im Projekt Deutscher Poker Sportbund seit 6 Jahren (und somit insbesondere auch während meiner Red Pro Zeit bei Full Tilt) lebe, gerne auch bereit ohne Einsatz zu spielen. Der bloße Wettkampf genügt mir am Pokertisch genauso wie am Fußballplatz als für sich stehender Antrieb. Ich messe mich gerne sportlich mit guten oder auch mit besseren Leuten.

Fußball hat eine sehr feingliedrige Struktur, überall findet jeder sein Spiel. Es ist normal und für jeden verständlich, dass ein Landesligakicker weder Bundesliga noch am Bolzplatz spielt. Denkt man sportlich, so müssen wir mit Poker noch genau da hin. Aktuell ist das leider nicht in Reichweite. Es wird einfach noch zu unsauber gedacht und die Re-Entry Debatte deckt dies gut auf:

Buy-in ist als sportliche Qualifikation anerkannt, aber Rebuy ist unsportlich!?
Aus der breiten Anerkennung dieses Widerspruchs entstehen weitere gedankliche Blüten wie „Re-Entry bei One Drop ist krank“. Da kann ich nur lachen. Wer ein Buy-in zahlt, aber bei einem zweiten überlegen muss, der denkt zu spät nach.

Meine persönliche Sichtweise ist folgende: Als Pokerspieler freue ich mich über jeden noch so schlechten Gegner und er darf sich so oft er will mit so viel er will hinsetzen. Als Pokertrainer vermittle ich insbesondere diese robuste Sichtweise, in der die Varianz eben wegen ihrer massiven  Auslenkungen ein wahrer Freund ist. Nur sie sichert die Wiederkehr eines unterlegenen Spielers. Als Präsident des DPSB arbeite ich am Aufbau echter sportlicher Strukturen ohne spielerfinanzierte Preispools.

Für mich stellt sich in keiner dieser Perspektiven die Frage nach Re-Entry. Ich liebe ihn als Spieler genauso wie er für mich als Sportler nicht in Frage kommt. In der aktuellen Diskussion sprechen wir von traditionellen spielerfinanzierten Turnieren. Somit interessiert mich die Frage rein als Spieler und ich sage: jeder soll sich so oft einkaufen wie er nur will.

Zahler zocken – Könner kalkulieren

Stephan Kalhamer für
gaming-institute.de und dpsb.org


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