Kolumnen

Bewusst spielen

Fernab großer Aufmerksamkeit erschien im Sommer 2010 „Poker ist eine Kunst, kein Glück“ (http://www.tagesanzeiger.ch/meinungen/dossier/kolumnen–kommentare/Poker-ist-eine-Kunst-kein-Glueck/story/17808926?track) im Schweizer Tagesanzeiger. Der Autor prangerte darin die Inkompetenz(!) der Schweizer Gerichtsbarkeit an, weil sie Pokerturniere allein den staatlichen Spielbanken unterstellte.

Aktuell zieht die Schweiz unser aller Aufmerksamkeit auf sich. Der Schweizer Franken löst sich vom Euro, rennt davon. Plötzlich gibt es enorme Gewinner und ebensolche Verlierer. Viele davon wussten nicht einmal, dass sie „spielen“ – und genau das ist mein Thema heute.

Die Welt ist viel mehr ein Spiel mit verdeckten Karten als Poker selbst es ist.

Wenn ich mich an den Pokertisch setze, weiß ich was ich tue. Ich investiere freiwillig in ein feindliches Umfeld. Mein Bestreben als Spieler ist nicht nett. Stets versuche ich jedem alles wegzunehmen, mich selbst zu bereichern. Das ist ok, denn jeder andere am Tisch spielt offensichtlich unter den gleichen Gesichtspunkten, den gleichen Regeln. Poker ist fair. Wer sich dem Wettkampf am Tisch stellt, weiß was passieren kann. Es kann rasant rauf oder auch runter gehen. Nie kam man mehr verlieren als man freiwillig bereit war auf den Tisch zu legen. Es kann dabei auch einfach nur die eigene Zeit oder ein kleiner wie auch immer gearteter Wetteinsatz sein, um welchen sich die Spielgemeinschaft geeinigt hat zu wetteifern. Jedenfalls herrscht Einigkeit und Klarheit unter allen Beteiligten.

Für den Hausbau meiner Familie habe ich Geld von der Bank aufgenommen. Ich hatte mich gerade selbstständig gemacht und musste mir gut überlegen, welches Risiko ich vertreten wollte. Bei diesem bis dato größten Investment sollte die Zins- und Tilgungslast ruhig sportlich, dabei aber nicht überzogen sein. Bei der Bank habe ich um Nachkommastellen, Bindungen und Sonderrechte gefeilscht. Sicherheit war stets ein großes Thema. Bewusst habe ich Chancen wenig Gehör geschenkt, weil damit immer auch entsprechende Risiken einhergehen. Bei diesem Abschluss war „Rebuy“ keine Option für mich. Es war einzig wichtig, so sicher als möglich im Spiel zu bleiben. Meine beruflichen Entscheidungen implizieren genug immanentes Risiko. Bei uns ist alles gut gegangen. Wir haben gerackert und gerieten im Mix aus Glück und Geschick nie wirklich ins Hintertreffen.

Die jüngsten Meldungen zum Schweizer Franken haben mich geschockt. Sie berühren uns nicht, aber es hätte mir durchaus passieren können, dass ich bei meinem Kredit die Schweiz involviere. Ich hätte diese Finanzinstanz nicht mit „Risiko“ in Verbindung gebracht; ein entsprechend lukratives Angebot zum rechten Zeitpunkt gut vorgetragen hätte mich für etwa 0,5% Zinserleichtung überlegen lassen. Von heute auf morgen – und ohne ein Bewusstsein dafür! – hätte ich dann plötzlich ca. 20%(!) mehr Schulden auf dem Buckel. Was für eine Tragweite. Was für ein ungeahnter Zock. Was für eine Unverantwortlichkeit.

Der Pokertisch ist und bleibt mir heilig. No Limit Texas Holdem hat seine klar definierten Grenzen. Es gibt keinen Fall in dem man etwa 10 Stacks auf einen Schlag verliert, weil sich plötzlich die Regeln ändern. Poker, diese kapitalistische Spiel, hat durchaus ein soziales Netz namens Tablestakes. Es wäre wünschenswert, dass alle von Zeit zu Zeit mal pokern. Dass alle nach gemeinsamen Regeln spielen. Dass jeder vor jedem Respekt und Achtung haben muss. Dass sich jeder mit jedem an einem Tisch setzen kann.

Zahler zocken – Könner kalkulieren
Stephan Kalhamer für
gaming-institute.de


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