Kolumnen

Die Macht der 52 Karten

Das alte Jahr haben wir abgeschlossen. Beendet. Ad acta gelegt. Es bleibt lediglich eine Randnotiz in den Geschichtsbüchern. Es ist Historie. Mit vielen Geschichten, die erzählt worden sind. Und mit Geschichten, die wir lieber nicht erlebt hätten.

Bekanntermaßen habe ich die letzten Tage des alten Jahres mit mehr als Tausend Gleichgesinnten bei der Deutschen Bracelet Meisterschaft in Leipzig verbracht. Spiel, Spaß, Gespräche und ein Miteinander wie sonst nur bei der Caritas. Es wurde wieder einmal deutlich, welche Kraft dieses Spiel eigentlich hat. Und welche Leidenschaft es ermöglicht. Und auch welche Leiden es schafft. Emotionen pur. Wie sonst nur bei verschossenen Elfmetern der eigenen Mannschaft oder bei Drinks mit Schirmchen. Serviert bei Sonnenuntergang auf den Malediven.

Ja, Poker. Du bist schon was ganz besonderes. Manchmal gehst du einem auf die Eier, manchmal hingegen möchten wir dich umarmen und dir Koseworte und Tiernamen zurufen. Ja, Poker, du bist angekommen bei uns. So wie damals Wetten, dass… Oder Disco mit Ilja Richter. Die Älteren werden sich erinnern. Argloses Vergnügen, den Zeitgeist getroffen. Wie Poker auch der Beginn einer neuen Lässigkeit. Eine Ernsthaftigkeit mit Unterhaltungsfaktor. Ohne schlechtes Gewissen bringen wir mehr oder weniger applauswürdige Leistungen. Der Musikantenstadl der Kartenspiele. Poker mutiert zum nahezu täglichen Plebiszit einer ganzen Nation. Zu einer wichtigen Säule der Alltagskultur, dieses auch in seiner Gesamtheit als Wirtschaftsfaktor und als zwischenmenschliches Miteinander.

Wir erliegen seiner Faszination. Auch wenn es manchmal ein modernes, absurdes Theaterstück zu sein scheint. Jedoch können sich nur wenige Menschen mit mittelmäßig ausgeprägter Neugierde diesem Gelärm vollends entziehen. Wie Wetten, dass oder Autounfälle auf der Autobahn. Es wird, dieses ist de facto anzuerkennen, immer weniger überflüssig. Es war noch nie so unentbehrlich wie heute. Was auch immer die Zukunft bringen mag. Sie wird garantiert nicht besser, nicht sorgenfreier und auch nicht fröhlicher. Wir aber donken im Jetzt und Hier. Wir folden in der Gegenwart. Malle ist schließlich auch nur dreimal im Jahr. Der Gewinn, den wir durch Poker haben ist höher als die Kosten. Bei mir persönlich nicht, aber das ist dann wieder eine andere Geschichte.

Spielen mit allen Sinnen. Auch wenn wir manchmal die Sinnhaftigkeit besser nicht hinterfragen. Aber dafür sind schließlich das Feuilleton da und studierte Wissenschaftler. Und die evangelische Kirche. Es sind die Könige, die halten oder eine wirklich schlechte Hand, die die Asse vernichten, die zu  unserer kulturelle Prägung werden, die letztendlich für den subjektiven Unterschied in unserer Wahrnehmung ausschlaggebend sind. Shuffle up an deal hören wir lieber als jeden anderen Satz.

Poker zwingt uns dazu, neuronal und intellektuell verschlungene Wege zu gehen und uns mit analytischen und kreativen Aspekten des Verstehens auseinanderzusetzen. Ein geistiges und kognitives Räderwerk aus Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Können und auch auditorischen und sprachlichen Prozessen wird in Gang gesetzt.  Ja, Poker erweitert den Horizont. Poker als Matrix aus Beobachtungen, Überwachungen, Verführungen und Gefühlslagen der unterschiedlichsten Art.

Genug der vielen, teilweisen schweren Wörtern für heute. Ich bin erschöpft ob des Sprachflusses, den mein Gehirn und meine Gefühle für dieses Spiel mich zwingen in die Tastatur zu hauen. Für heute bleibt mir nur, uns allen auch im neuen Jahr viele gute Hände zu wünschen. Auf das wir schon auf dem Flop die Nuts haben. Und sollte dieses nicht so sein, so wünsche ich uns entsprechend dicke Eier, diese Hand dann wie die Nuts runterzuspielen. Und beten, das der andere Fisch nicht callt. Sonst sind wir schon wieder einer der ersten an der Bar. Oder im Side Event.

foto für kolumne wir .. eier


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