Kolumnen

Eine wahre Begebenheit

Lasst mich Euch eine Geschichte erzählen. Eine wahre Geschichte. Lange ist es her. Sehr lange schon. Früher einmal, in den guten alten Zeiten, war ich ein knackiger, junger Mann. Dynamisch und erfolgreich.

Im Status eines Vielfliegers unterwegs in geschäftlicher Mission. Frankfurt via London nach Amerika. In London erwartete mich eine schon häufiger vorgekommene nette Geste; das Upgrading in die First Class. In diesem Falle umso bemerkens- und anmerkenswerter, als dass die Business Class nicht ansatzweise ausgebucht war. Und in der First Class saß lediglich nur ein weiterer Gast. Ein mittelalter Mann. Markantes Gesicht. Whiskey statt des obligatorischen Begrüßungschampagners.

Ich gehöre normalerweise nicht zu den Leuten, die andere Leute im Flugzeug anquatschen und schon gar nicht zu der Sorte Leute, die sich von fremden Menschen, mit denen man durch einen willkürlichen Zufall an Bord zusammengepfercht ist, anquatschen lässt. Warum ich gerade jetzt; etliche Jahre später an diese Begegnung denke; kann ich nicht wirklich begründen. Auf jeden Fall kamen der Herr und ich ins Gespräch.

Wir begannen unser Gespräch mit Themen wie zu alte Stewardessen, die allgemeine Krankheit des Tomatensaftvernichtens in Flugzeugen, der Vorzug von harten Alkoholika über den Wolken gegenüber dem Mädchen-Pritzelwasser.

Beim Essen war das Thema schließlich die Größe und Qualität von Flugzeug-Steaks gegenüber den wahren Steaks, die es nur und ausschließlich in good old America gibt. Zwei Kilo vom feinsten Rind, die Beilagen nur als überflüssige Zierde des Tisches. Medium rare, was sonst.
Was auch immer uns dann schließlich auf das Thema Spielen allgemein und Poker im speziellen brachte, weiß ich in der Tat nicht mehr. Nur, dass ich damals weder vom Pokern, noch vom Zocken allgemein auch nur ansatzweise irgendeine Ahnung hatte. Poker habe ich damals nur im Kino gesehen. Im Hinterzimmer einer rauchverhangenen viertklassigen Bude, mit drittklassigen Ganoven am Tisch und immer in der Gefahr, dass jemand die Pistole nicht nur vor sich auf den Tisch legt, sondern auch benutzt.

Unbeleckt von Glücksspielen und der großen Zockerei wollte ich relativ schnell das Thema wechseln, um auf sichereres Terrain zu kommen, welches auch ich sprachlich und inhaltlich beherrschte. Aber er war in seinem Element und seinen Worten gefangen und sprach mit Leidenschaft und Überzeugung, mit einer tatsächlich feststellbaren Liebe über Poker, dass ich einfach zuhören musste. Ich werde nicht mehr die ganzen drei Stunden seiner Rede nachvollziehen können, dennoch sind mir einige Passagen seines Monologes nie ganz entfallen:

I love that game. Es, ja es ist Liebe.

Mache alles, was du machst mit Liebe und Enthusiasmus. Egal ob du Rinder züchtest, Autos verkaufst oder Poker spielst, dann wirst du es irgendwann schaffen.
Es ist das schönste Spiel der Welt. Nach dem Liebesspiel und nach dem ersten gemeinsamen Fußballspiel mit deinem Sohn.
Leidenschaft gepaart mit reiner Emotion. Mit nicht viel anderem vergleichbar. Poker ist rein, wie die Seele eines Neugeborenen. Rein, pur und ehrlich. Na, ja, manchmal nicht immer ehrlich, aber auch das gehört zu diesem puren Spiel.

Poker ist Business. Poker ist wie Business. Es geht darum, am Ende des Tages, am Ende des Monats der Beste zu sein. Der Starke, der Held, zu dem alle aufschauen. Dennoch hat Poker weitere Komponenten, die das andere Business entweder gar nicht oder in dieser Form nicht hat. Poker ist abseits vom wahren Ziel eine gesellschaftliche Komponente, die heutzutage noch deutlich unterschätzt wird. Es gibt keinen Unterschied am Tisch. Uns alle eint das Spiel, vor dem Dealer sind wir alle gleich. Und vor den Karten sowieso.
Poker ist definitiv nicht, wie uns einige weismachen wollen, ein Glücksspiel. Am Ende des Tages sogar ist es ein „gutes Spiel“, weil du dich selber, dein Hirn, deinen Charakter einbringen musst. Und es ist ein gutes Spiel, weil du ständig lernen musst, weil du ständig an dir, deinem Wesen und deinem Spiel arbeiten musst. Und das auf eine intensive Art und Weise. Und du lernst Geduld, Demut und Achtung. Achtung vor deinen Gegnern aber auch Achtung vor situativen Gegebenheiten. Keine Hand ist wie die andere, es gibt niemals eine vergleichbare Szenerie wie bei anderen Spielen. Auch das macht Poker einzigartig.

Pokern ist kein simples Zocken, kein Haudrauf auf schwarz oder rot. Gerade die Grautöne, die Zwischenstufen sind die entscheidenden Faktoren beim Pokern.

Auch wenn mir das hier und heute noch keiner glauben mag, irgendwann wird Poker groß. Richtig groß. Und auch eine große Komponente in der Gesellschaft. Dann aber werden wie bei jeder Wachstumsbranche die Probleme anfangen. Du wirst im Endeffekt keinen Unterschied mehr sehen zu anderen Branchen, lass mich sagen zur Automobilindustrie. Es wird mit harten Bandagen gekämpft werden, um Marktanteile und Publicity. Es werden zwielichtige Elemente auftauchen, die Stücke von dem Kuchen abhaben wollen oder sogar versuchen, das ganze Kuchenblech zu klauen. Es wird zwangsläufig ein dreckigeres Business werden.

Aber eines wird nie passieren, eines wird Poker jeder anderen hart umkämpften Branche immer voraus haben: die Lust, die Leidenschaft, das Engagement um des Produktes willen. Ein Auto lebt nicht. Ein Pokerspieler hingegen schon. Sogar ein Pokerspiel, jedes Pokerspiel ist voller Leben. Ein Pokerspiel ist wie das Leben, das wird kein Auto jemals schaffen, sei es noch so groß und teuer und aufregend.

Du kannst Poker im Prinzip nicht mit einem Auto vergleichen, und ich liebe Autos, sogar german cars. Aber die wahre Leidenschaft, das tiefe Interesse, in der Tat die tiefe Liebe entwickelst du nur beim Pokern. Lass mich nicht pathetisch klingen, aber kein Schmerz der Liebe, kein Leiden im Leben ist so bitter und so endgültig wie die Pein beim Pokern. Aber auch ist die Freude, die du erfahren kannst, ist gewaltig und meistens nur ein paar Minuten entfernt. Das ist im richtigen Leben anders. Verlieren zu lernen macht man im richtigen Leben automatisch, beim Pokern hingegen musst du es lernen. Auf bittere, schmerzhafte und manchmal auch teure Art und Weise.

Lebe, um zu lieben und um zu leben. Lebe, um zu spielen und das Spiel zu lieben. Liebe das Spiel, um besser zu werden. Lass aber nie zu, dass das Spiel dein Leben beherrscht. Dein Leben bestimmst du selber, ebenso wie das Spiel. Und du musst so leben, dass du dein Spiel beherrscht.

Ja, es ist ein Spiel. Manche sagen, nur ein Spiel. But that’s wrong, Baby – it’s that game. Das einzig wahre Spiel. Und es spiegelt dich wieder. Du vor dem Spiegel. Besser aber als es jeder Spiegel könnte. Ich habe in meinem Umkleidezimmer fünf Spiegel, in meinem Badezimmer drei davon. Richtig erkennen allerdings tue ich mich nur am Pokertisch.

Pokern ist wie Bergsteigen. Endorphine, Hormone und Glücksmomente, die man keinem begreifbar machen kann, der nicht neben dir auf dem Gipfel steht. Pokern ist wie Autorennen. Das Gefühl, unverletzt aus der Karre zu steigen, kannst du niemandem beschreiben, der nicht Beifahrer gewesen ist.

Es gibt nichts Faszinierenderes als ein gelungenes Spiel. Selbst ein mittelmäßiges Spiel ist noch besser als der Durchschnittstag im Durchschnittsleben eines Durchschnittsmenschen. Spielen kann Leben nicht ersetzen, das weiß ich wohl, aber Spielen kann Leben sein. Und Leben kann Spielen sein. It’s more or less the whole life.
Pokern ist so vielfältig wie sonst kaum etwas in diesem Leben. Mal ist es Krieg, mal ist es Poesie. Mal ist es Vernichtung, dann wieder Philosophie.

Irgendwann über dem großen weiten Wasser schliefen wir dann wohl ein. Ein freundliches und zeitlich passendes Wecken der Stewardess sicherte uns zumindest noch ein respektables Frühstück. Dann war der Flug auch vorbei, wieder einmal geschafft. Wieder einmal einen Kontinent gewechselt.

Wir durften als Erste das Flugzeug verlassen. Beim Weg nach draußen schlug mir der Mann mit starker, krachender Hand auf die Schulter und sagte: „Nice to meet you. Have a good trip and good business. By the way, my name is Doyle Brunson. It was really nice meeeting you.“


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