Kolumnen

Eine Welle der Leidenschaft

Manchmal ödet Poker mich an. Bis hin zu einem respektablen Brechreiz. Manchmal überkommt mich eine Woge der Verzweiflung, wenn ich an die letzten vier Hände denke. Oder an die letzten vier Monate. Das ist ziemlich identisch.

Manchmal ist Poker keine Heimat, sondern das hässlichste Haus, das ich je betreten habe. Kein geliebter Ort, kein vertrautes Gefilde, sondern fernstes und finsterstes Ausland. Das Nordkorea der Gesellschaftsglücksspiele. Langeweile, nicht gestillter Hunger, Düsterkeit, extrem hohes Frustrationspotential. Bis hin zu Gedanken über Harakiri.

Depression statt Heiterkeit. Stumme Verzweiflung statt lautem Jubel. Schwer zu ertragendes Drama statt leichter Humoreske. Moderne Klangoper statt Musical. Verspätete Straßenbahn statt Cabrio. Erniedrigung statt Groupies. Kein Champagner, der auf den Punkt genau gekühlt ist. Stattdessen ranzige Milch. Manchmal empfinde ich kein Zugehörigkeitsgefühl. Manchmal möchte ich lieber Königspudel züchten oder zum Zahnarzt gehen. Es verursacht Wundmale an Leib und Seele.

Dann aber wieder überwiegt eine schmerzvolle Sehnsucht. Eine Angespanntheit, eine nahezu elektrisierende Vorfreude. Das Gefühl des klaren Verstandes schwindet. Jegliches Räsonieren bringt nichts. Alle Fürbitten verhalten ungehört. Es scheint fast so als würde ich von irgendwelchen nichtirdischen Wesen ausgelacht und von fremden Mächten angezogen.

Der Punkt ist vorbei, an dem man auf das Allerheiligste und die eigenen Kinder geschwört hat, niemals mehr, nie wieder die Karten in die Hand zu nehmen. Die Welle der Leidenschaft packt einen wieder und spült mich an einen Tisch mit Gleichgesinnten. Und alles geht wieder los. Aufs Neue. Wieder und immer wieder.

So ist das mit Leidenschaften. Vergleichbar mit Marlboro, Rotwein oder speziellen sexuellen Vorlieben.


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