Kolumnen

Free „Poker-Ali“ oder die gerichtliche Legalisierung von Poker

Der Schweizer Fall des „Poker-Ali“ wurde vor vier Jahren in der Schweizer Medienwelt mit Grossbuchstaben behandelt. Am Montag, dem 23. Mai 2011, wurde Ali Ü. zweit instanzlich wegen Sozialversicherungsbetrugs zu 22 Monaten bedingter Haft verurteilt; dies nach einem anfänglichen Freispruch des örtlichen Bezirksgerichts.

Das Lokalfernsehen „Tele Züri“ filmte im Grandcasino Baden, und reportierte von der dortigen Pokerpartie. Was Werbung für Poker im Casino werden sollte, wurde zum Skandal. Ali Ü liess sich interviewen und gab von sich preis, dass sich für ihn das Pokerspiel im Grandcasino Baden lukrativ sei und er durchschnittlich eintausend Schweizer Franken (etwa 800 Euro) Gewinn pro Abend nach Hause bringe.

Natürlich sagte er nicht, dass er eine monatliche Invalidenrente wegen Vergesslichkeit, Ängstlichkeit, sozialem Rückzug und verminderter Konzentrationsfähigkeit beziehe und vorher auch schon Sozialhilfe bezog, und eigentlich vom Staat einen schönen Betrag an Geld ausbezahlt bekam. Von Anfang an wussten die Behörden vom Pokerspiel des in der Schweiz eingebürgerten Türken, was bei den Ämtern als Spielsucht eingestuft wurde.

Eine Schweizer Kantonspolizistin, welche eventuell wegen einer persönlichen Sache mit ihm eine Rechnung offen hatte, zeigte ihn nach diesem Fernsehbeitrag an. Daraus entstand ein Debakel, für Ali Ü. Er wurde angeklagt, geriet in die Boulevardpresse und bekam nachträglich erhebliche psychische Probleme und das Grandcasino Baden geriet in negative Schlagzeilen wegen Suchtpräventionsfragen, welche nicht begründet waren, weil Ali Ü. ja erfolgreich spielte.

Doch Ali Ü. wurde jetzt in zweiter Instanz verurteilt, weil er die Intensität seiner Spielsucht verheimlichte und dem Sozialamt nicht mitteilte, dass er noch zwei Wohnungen in der Türkei besitze. Die Behörden seien getäuscht worden und darin sei eine Arglist festzustellen, begründete das Obergericht.

Interessanterweise urteilte das Obergericht im Fall zur Frage der Invalidität anders, als das Bezirksgericht in erster Instanz, welches die ärztliche Beurteilung nicht als Beeinträchtigung für erfolgreiches Pokerspiel sehe. Wenn das Obergericht intensives Pokerspiel als „Zitat: nicht einfach“ bewertet, dann könnte diese Begründung des Urteils darauf schliessen, dass die Richter Ali Ü. die Fähigkeit zugestehen, mit Poker regelmässig Geld zu verdienen. Sie begründen darin nicht, dass er mit dem in Pokerpartien gewonnene Geld Sozialhilfe oder Invalidenversicherung „verloche“. Das Obergericht sprach Ali wegen erfolgreichem Pokerspiel, die ärztliche Diagnose im vollen Umfang ab.

Eine Invalidenrente oder eine Sozialhilfeleistung in der Schweiz reicht gerade knapp zum Leben. Was spricht jetzt also dagegen, wenn ein Arbeitsloser und von der Arbeitslosenkassen aus gesteuerter Sozialhilfebezüger sich mit dem Pokerspiel etwas dazu verdient? Eigentlich hätte Ali Ü. als guter Schweizer Bürger jeden Gewinn, welcher ein hohen Prozentanteil seines Existenzminimums ausmacht, dem Sozialamt und vielleicht auch der Invalidenversicherung angeben müssen. So hätte die Behörden bei Bedarf die monatlichen Beträge kürzen können.

Das Obergericht bezeichnet den 56 jährigen Ali Ü. in seiner Begründung als faulen und bequemen Menschen und stellt ihn als Gesellschaftsschmarotzer öffentlich an den Pranger. Darin lehnen sich die im Monatslohn angestellten Richter auch gegenüber chancenlosen arbeitswilligen Menschen, sehr weit aus dem Fenster.

Pokerspieler in der Schweiz ist kein offizieller Beruf und wäre auch seit dem Entscheid des Bundesgerichts vor einem Jahr schwierig zu betreiben, weil das Pokerspiel in der Schweiz als Glücksspiel gilt. Livepoker darf nur noch in den Casinos betrieben werden; Gründe wie Suchtprävention und Sicherheit kommen da hinzu. Dortige Gewinne werden seit der Einführung der Schweizer Spielbanken, steuerfrei als Einnahmequelle geduldet, weil die Abgaben durch das Casino selbst vergütet werden.

Das kantonale Obergericht attestiert jetzt einem Pokerspieler, die Fähigkeit und das Geschick zu, regelmässig Geld mit Poker zu verdienen und somit auf der Gewinnerseite zu sein. Sie verurteilen ihn darum, und wegen Falschangaben bezüglich seiner zwei Wohnungen in der Türkei, zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 22 Monaten wegen Sozialbetrugs.

Eigentlich schreit diese Argumentation nach einer Revision des Urteils von Ali Ü. oder nach der Legalisierung von Poker in der Schweiz. Denn das erste Mal bestätigt ein Schweizer Gericht, dass mit entsprechend ausgeprägten Fähigkeiten und Erfahrungen Poker gewinnbringend gespielt werden kann. Somit wäre es mit einem Schweizer Beispiel bewiesen, dass die Argumentationen aus Deutschland, welche das Bundesgericht für das Pokerverbot ausserhalb von Casinos verwendete, hinfällig wären.

Ich bin mir sicher: Wenn wegen des „Ali Ü – Falls“ die Wiedereinführung von Turnierpoker in der Schweiz geschehen würde, dann wäre mit einer jährlichen Spende von einem Franken jedes helvetischen Pokerspielers, die Rente von „Poker-Ali“ gesichert. Wunschendenken kann so schön sein…

Cheers

Martin Bertschi


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