Kolumnen

Glück im Pech, umgekehrt oder gar ganz anders?

Ich spiele ein Turnier in Hamburg. Es läuft ruhig an. Zu viele Hände gehen in den Showdown. Ich akzeptiere das und warte. Dann sitze ich im Big Blind. Meine erste Karte kommt geflogen, prallt gegen einen Chip, fliegt hart gegen die Bande und flippt auf. Das Kreuz Ass.

Der Tisch sieht mich an als müsste ich nun etwas tun. Was denn? Weinen? Unmut äußern? Den Kartengeber diffamieren? Tut mir Leid, damit kann ich nicht dienen. Ich lächle beschwichtigend und blicke in das erleichterte Gesicht Alexandrus, unseres Kartengebers. Die Show geht weiter. (Auch wenn sie das streng nach Regeln nicht sollte: Wird eine der ersten beiden Karten aufgedeckt, so wird nach internationalen Standards komplett neu gegeben. Egal. Tut hier nichts zur Sache.)

Meine reguläre zweite Karte gleitet also als Kreuz Dame korrekt an meinen Platz. Meine Tauschkarte ist die Karo Sieben. Ich halte also aufgrund des geberischen Unglücks bei ansonsten identischer Kartenvergabe Q7o statt AQs.

Die Action beginnt mit dem Midposition Raise Marvins, eines sehr hochfrequenten (und dabei technisch guten) Spielers, der mich in unserer noch jungen gemeinsamen Vergangenheit bereits erfolgreich ge-3-bettet hat. Er wird von Robert im Small Blind bezahlt. Ich werfe weg, was ich im alternativen AQ Szenario sicher nicht getan hätte.

Der Flop bringt Dame hoch. Die beiden machen bis zum River ordentlich Action. Letztlich gewinnt der Preflop Agressor mit KQo – aber nicht zwecks Treffer, sondern per Flush. Vom Spieler im Small Blind sehen wir ein auf dem River geschlagenes 5er Set, welches er bereits am Flop getroffen hatte.

Diese Hand zeigt sehr schön wie naiv voreiliger Ärger ist. Ich hatte mir AQs nie erarbeitet, nichts dazu beigetragen. Es besteht somit auch keine Bindung, kein „Recht“ darauf. Ich dachte nur mal kurz, dass es mir zugeflogen käme und dass das wohl gut für mich wäre. Mehr nicht. Dann war es eben nicht so – und damit basta. Ein solider Spieler denkt in Handlungsoptionen, in Dingen die er beeinflussen kann. Er hält sich nicht mit müßigen Gedanken über das Schicksal auf – und wie gemein es ihn doch trifft. Er beklagt sich nicht bei Fortuna – gerade wenn ihr ausführender Kartengeber Alexandru heißt und nichts dafür kann.

Ich habe in dieser Hand gewonnen und zwar mehrfach. Wie ich es auch drehe und wende, welche Linie ich auch gewählt hätte, ich hätte in dieser Hand ordentlich Chips verloren. Nur Alexandrus Missdeal hat mich davor bewahrt. Weiter konnte ich positiv fokussiert bereits zur nächsten Hand übergehen. Das ist ein großes Privileg und sehr wichtig für lange Pokerabende. Jeder darf sich gerne selbst hinterfragen, an welcher Stelle er – leise oder auch laut – es für notwenig befunden hätte, sich zu ärgern. Direkt bei dem aufgeflippten Ass? Bei der miesen Tauschkarte? Am Q-high Flop? Bei der lukrativen Action? Die Moral von der Geschicht: tilte voreilig nicht.

Am Pokertisch kann man oft nicht wirklich absehen, ob ein Zwischenstand sich im Endergebnis positiv oder negativ darstellen wird. Das durfte ich später im Turnier erneut – und diesmal auch unter massiven Chipeinbusen – erfahren.

Ich openraise den Cutoff mit A4o und bekomme ein Minraise vom Button. Unschön. Es war die dritte 3-Bet an diesem Tisch gegen mich und ich hatte bisher jeweils aufgegeben. Trotz meiner miesen Hand entscheide ich mich für den Call. Der Hauptgrund für diese diskutable Entscheidung ist neben dem günstigen Preis meine politische Aussage an den Tisch: „auch mein Cutoff Opening ist stark genug für den Call einer 3-Bet ohne Position.“ Ich will also an dieser Stelle günstig kommunizieren, dass bereits meine Erstselektion ernstzunehmen ist.

Der Flop bringt A43. Ich habe also unsägliches Glück. Ich sehe mein Gegnerprofil wie folgt: Wenn die Dame mittleren Alters ein Ass hält, dann wird sie anspielen und auch ein Raise bezahlen. Weiter wird sie auch eine Turn-Wette bezahlen, sofern ich es gut verkaufe. Wenn die Dame kein Ass hält, werde ich von ihr maximal eine Wette gewinnen können, denn sie wird weder groß bluffen, noch über mehr als eine Straße bezahlen. Somit ist Check meine klare Entscheidung. Sie spielt zu meiner Freude an und zahlt mein Raise. Ich wette den Turn, der per 10 erscheint. Der River kommt mit einer erneuten 10 und ich check-folde durchaus enttäuscht.

Die Dame ist so freundlich mir ihre Rockets zu zeigen. OMG. Da dachte ich die ganze Zeit, ich habe sie am Haken. Da dachte ich, der Kartengeber hätte mir „mein“ schönes Two Pair am River aufs übelste zerstört. In Tat und Wahrheit aber hat mich Alexandru erneut gerettet. Das war mir aus meinem eingeschränkten Blickwinkel allerdings bis zuletzt entgangen.

Situationen wie die beschriebenen gibt es haufenweise. Jeder kennt sie. Achtet bewusst auf sie. Erkennt an, dass eine mutig stimmende Kartenlage keine eigene Leistung ist. Pocht also nicht auf euer „Recht“ zu siegen, nur weil ihr euch mal vorne wähnt. Es kann und wird noch viel passieren, bis die Wahrheit auf dem Tisch liegt. Seid auf eure Entscheidungsprozesse fokussiert, versucht die bestmöglichen Weichen zu stellen. Gestaltet das Glück wahrscheinlich und groß, minimiert das Auftreten und die Auswirkungen von Pech. Mehr ist nicht zu tun – es ist schwer genug.

Zahler zocken – Könner kalkulieren

Stephan Kalhamer
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