Kolumnen

God Save the Stream

Livestreams waren schon oft in der Kritik, die Tür zu Betrügerein zu öffnen. Die aktuelle „J4“ Hand im HCL Stream bringt das Thema wieder in den Fokus.

Vor einigen Jahren war ich einer der Leiter einiger der großen internationalen Sendungen von Winamax. Ich habe das Live-Streamen von großen Turnieren wie WPO-Stopps in Dublin, WiPT-Etappen in „La Villette“ aber auch vom WiPT Finale oder von zeitversetzt übertragenen Produktionen wie einigen Winamax VIP- und Promi-Cash-Game-Sessions im Pariser Clichy Montmartre Klub geleitet. Diese sind den heutigen modernen US-Poker-Streams sehr ähnlich. Bei den Turnieren ging es hauptsächlich um die Show, die Sicherheit wurde direkt von uns, dem Produktionsteam zusammen mit den MTT-Floors gewährleistet. Damals, schon um 2018 herum, musste ich mich jedoch, sobald Chips mit Geldwert auf dem Tisch lagen, in einem separaten Raum hinter verschlossenen Türen aufhalten, ohne direkte Sicht auf den Tisch und ohne dass die meisten Mitarbeiter mit Sicherheit wussten, wo ich mich gerade im Gebäude aufhielt. Das ist Gesetz in Frankreich zum Beispiel. Die einzige Möglichkeit der Kommunikation mit meinem Team (Techniker, Dealer und Floors) aus meinem einsamen und abgelegenen Produktionsloch heraus war die Funk- oder Audioübertragung über das Tonsystem, das wir eigens mit meinem Tonteam eingerichtet hatten. Ich durfte während der 12 bis 15 Stunden dauernden Sessions pro Tag kein Telefon bei mir haben, und kein Spieler durfte sein Telefon dabei haben, während er am Tisch saß.

In den letzten Tagen war die Poker-Community wieder im Detektivmodus und es gibt gerade eine der heißesten Diskussionen über Betrug bei Live-Spielen überhaupt. Das zeigt, wie gut es war, dass wir Sicherheitsfragen damals so ernst genommen haben. Es ist nicht möglich, eine Technologie zum Streamen von Live-Spielen zu entwickeln oder zu betreiben, ohne die Sicherheit und den Datenschutz in den Vordergrund zu stellen, insbesondere bei einem Spiel mit unvollständigen Informationen wie Poker. Die Infos zur „Skandalhand“ könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.  

RF Poker  hat kürzlich einen interessanten Blog-Beitrag über die technologischen Aspekte und möglichen Schwachstellen veröffentlicht, die Betrug bei Streams möglich machen könnten.

STREAMING: TECHNIK & SICHERHEIT

Beginnen wir damit, was das Streaming so viel angenehmer macht als zu Zeiten, als es noch Hole Cams gab. Was ist RFID? RFID steht für „Radio-Frequency IDentification“. Es handelt sich um eine Technologie, die elektromagnetische Felder nutzt, um Tags (digitale Etiketten) in einem bestimmten Nahbereich zu identifizieren und zu verfolgen. Die Technologie ist nicht neu und wurde nicht für Poker entwickelt. Sie wird bereits seit einigen Jahrzehnten in Ausweisdokumenten, medizinischen Implantaten und im Gesundheitswesen oder zur Erleichterung industrieller und kommerzieller Bestandsaufnahmen eingesetzt. Beim Poker wurde sie in den frühen 2000er Jahren mit dem Ziel eingeführt, die Geschwindigkeit und Genauigkeit zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten für die Kodierung von Hole Cards und Boards in grafischen Overlays für Live-Streamings zu senken. Der gesamte Datenfluss kann von einem normalen Computer verarbeitet und exportiert werden, auf dem eine Action-Tracker-Software und ein Broadcasting-Assistent wie OBS laufen. Solche Programme wurden mit dem Aufkommen privater Streams auf Plattformen wie Twitch weltberühmt. In einigen Fällen werden auch die Chips markiert und der Computer kann die Einsätze und Stacks zusätzlich zu den angezeigten Karten zählen und verfolgen. Das alles geschieht in Echtzeit, aber der Computer kann so eingestellt werden, dass er alle Informationen speichert, um sie mit einer Verzögerung für die Öffentlichkeit freizugeben.

SCHWACHSTELLEN

Eine sehr offensichtliche Möglichkeit für einen Spieler, das System zu betrügen, wäre, wie im RF-Poker-Beitrag erläutert, die Unterstützung durch eine externe Partei. Bei den derzeitigen seriösen RFID-Systemen ist die einzige Person, die Zugang zum Datenstrom in Echtzeit haben sollte, der Betreiber der Action-Tracker-Software. In einigen Pokerräumen können jedoch je nach dem Grad der Sicherheitsvorkehrungen, die das Haus zu treffen bereit ist, und je nach den örtlichen Gesetzen auch andere Personen des Personals Zugang zu diesen Daten haben. Die Daten können leicht weitergeleitet werden, wenn kein Telefonverbot verhängt wird. Dies war eines der Hauptprobleme im jüngsten Fall Mike Postle.

Die Menschen geben ihr Telefon im Allgemeinen nicht gerne aus der Hand. Prominente und viele High Roller noch weniger. Mit den Pros gab es generell keine Probleme. Ich kann mich jedoch an eine Reihe mäßig hitziger Diskussionen erinnern, als verschiedenen Spielern klar wurde, dass ich ihnen keinen Zugang zu dem Spiel gewähren würde, zu dem sie eingeladen worden waren, wenn sie nicht bereit wären, ihr Telefon bei mir abzugeben. Ich bin ein ziemlich sturer Mensch, schwer zu beeindrucken dazu. Von daher gab es fast keine Chance, dass ich wegen der Laune eines Promis grundlegende Sicherheitsprinzipien über Bord geworfen hätte. Ich erinnere mich an eine besonders lustige Situation, als ich Patrick Bruel (Musikstar in Frankreich und Mitgründer von Winamax) daran hinderte, an einem seiner eigenen Winamax-Invitationnal-Cash-Games in Paris teilzunehmen. Das hat ihm nicht gefallen, ber er hat am Ende ohne sein Telefon gespielt. Dieser Job war sehr interessant und da war ich der wahre Kapitän der Tische! 🙂

Es ist auch nicht undenkbar, dass eine Person die Karten selbst scannen kann. RFID-Tags funktionieren ähnlich wie Barcodes oder QR-Codes. Sie speichern ganz bestimmte Daten. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die Daten nicht durch optisches, sondern durch elektromagnetisches Scannen des Gegenstands abgerufen werden. Unabhängig davon, ob die Informationen auf den Karten selbst oder an anderer Stelle im System gespeichert sind, ist das Hacken mit Hilfe eines versteckten und aufwendigen persönlichen Zwischenscanners am Tisch eine reale, aber sehr unwahrscheinliche Möglichkeit.

Auch ohne den Unterschied zwischen Näherungs- und Umkreissensoren, die in den Poker-Streaming-Tischen verwendet werden, zu vertiefen, ist es einfach zu verstehen, dass eine Menge Informationen zwischen dem Tisch und dem Produktionsbüro der Sendung übertragen werden. Diese Informationen verlassen den Tisch über Kabel mit hohem Datenstrom, aber einige der Informationen können aus Bequemlichkeitsgründen über WiFi an sekundäre Geräte übertragen werden (Floors, Manager, Media Team … ). Es ist natürlich sehr schwierig, aber nicht unmöglich, diskret ein Gerät anzuschließen, das zwischen den Streaming-Tisch und den Computer des Operators geschaltet werden kann, um das Produktionsnetzwerk zu umgehen und alle Informationen zu lesen, die vom Tisch zum Produktionsbüro wandern. Andererseits ist das Hacken eines WiFi-Netzwerks aus technischer Sicht viel einfacher und in Bezug auf die Diskretion sehr effizienter, verglichen mit dem physischen Anschluss eines Fremdgeräts an das System.

Eine weitere denkbare Möglichkeit, die Show zu stehlen, wäre der Zugriff auf das Streaming-Signal, während es noch auf dem Computer des Betreibers gespeichert ist, um es für die Zuschauer zu verzögern.

Nicht zuletzt sind einige automatische Mischer in der Lage, RFID-Tags zu scannen und zu identifizieren. Auf diese Weise können sie nicht nur die Karten zählen und mischen, sondern auch das Kartenspiel neu anordnen, was in großen Pokerrooms mit zahlreichen Tischen erhebliche Einrichtungszeit und Betriebskosten spart. Das Hacken des Mischers könnte theoretisch eine Möglichkeit sein, die kommenden Runouts oder die Hände der Gegner zu ermitteln.

GOD SAVE THE STREAM

RF Poker weist am Ende seines Beitrags darauf hin, dass alle diese potenziellen Schwachstellen nur sehr schwer auszunutzen wären.

Angesichts der hohen Beträge, die bei einigen dieser gestreamten Partien im Spiel sind, könnten einige Leute in Versuchung kommen, schwere Mittel einzusetzen, um ans leichte Geld zu kommen.

RFID hat mit Sicherheit das Potenzial, Live-Poker auf eine neue Ebene zu heben, was das Marketing und die Präsenz in der Öffentlichkeit angeht, da die Live-Streaming-Möglichkeiten das Publikum unterhalten und Communities festigen können. Das haben die Casinos und Promoter schon verstanden. Es ist ebenfalls ein großartiges Entwicklungs- und Coachingwerkzeug für Profis und Freizeitspieler für Session und Hand Reviews, aber wir müssen als Poker Community sehr vorsichtig sein, damit dieser technische Fortschritt nicht zu einer Quelle des Misstrauens und zum Synonym für Betrug oder unzuverlässige Partien wird. Der Ruf von Poker-Streamings könnte angesichts den wiederholten Skandale, die die Pokerwelt in letzter Zeit erschüttert haben, eindeutig gefährdet sein.

 

Bei Fragen könnt Ihr mich auch gerne über Facebook oder Instagram kontaktieren.


Artikel präsentiert von Damian Nigro/The-rounder.net


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