Kolumnen

Ikebana statt Final Table

Zuletzt in Kufstein. Pause beim Turnier. Ich stehe vor der Tür, frische Luft schnappen zur Marlboro. Natürlich Marlboro rot und stark, ich bin schließlich kein Mädchen.
Wir; die noch verbliebenen Spieler; nicken uns respektvoll zu. Und kommen ins Gespräch. Vor allem die alten Münchener Pokerkumpels sind involviert. Alles sind mehr oder weniger noch gut im Spiel. Es wird philosophiert über die große Leidenschaft, die das Kartenspiel aller Kartenspiele mit sich bringt. Es verlangt uns nach dem Verlangen, beim nächsten Mal eine respektable Hand zu sehen. Es verlangt uns nach dem überbordenen Verlangen, diese Hand auch noch siegreich mit möglichst vielen Chips erfolgreich zu beenden. Es giert uns nach der Liebe und dem Wohlwollen des Pokergotts.

Zwei Stunden später dieselbe Szenerie. Wieder Pause, wieder Marlboro (nun aber genug mit der kostenfreien Schleichwerbung für Tabakprodukte amerikanischer Herkunft). Nur noch wenige Spieler dürfen spielen, nur noch wenige dürfen kreatives Bluffmanagement anwenden. Die restlichen sind enttäuscht. Sind frustiert. Sind teilweise sauer ob der Art und Weise des Ausscheidens. Als wenn sie noch nie den Twoouter auf dem River gegen sich bekommen haben. Rein statistisch passiert das bei Pokerstars bei Turnieren ab 22 Euro in 87 von 100 Fällen; wenn Russen beteiligt sind.

Ich also schlage den Kartenfreunden, die heute keine Kartenfreude mehr erleben dürfen, stattdessen kreatives Ikebana vor. Ein vielleicht ihren Möglichkeiten entsprechend besseres Hobby. Und sicherlich nicht so kostenintensiv. Ikebana. Ähnlich langweilig wie Fliegenfischen, nur mit mehr Historie. In Japan entwickelt. Im 6. Jahrhundert. Älter also als Poker. Es war gedacht als arrangiertes, hübsch anzusehendes Blumenopfer für Buddha und seine Kumpels. In den ersten tausend Jahren war es tatsächlich nur Männern vorbehalten. Heute würde man politisch unkorrekt Schwuchtelbeschäftigung dazu sagen und die Frauenbeauftragte anrufen. Ein Ikebana bringt die Natur zum Menschen; zeigt dabei die kosmische Ordnung. Was immer das auch sein soll. Wahrscheinlich so etwas wie das permanente Auf-die-Fresse-kriegen mit Jacks; egal gegen welche Hand. Auch eine Art kosmischen Unsinns.

Das also waren mehr oder weniger die Erlebnisse aus dem schönen Tirol. Im April ist es wieder soweit, dann darf ich erneut nach Kufstein. Dann werde ich den Kumpels wohl andere langweilige Hobbies empfehlen, wie stundenlang aufs Wasser schauen oder Schneckenrennen veranstalten. Oder, mein persönlicher Favorit, französische Kunstfilme in schwarz-weiß; natürlich in der Originalfassung. Nein, ernsthaft, dann schon lieber mit den Jacks all-in gehen.


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