Kolumnen

Mein Naturell ist die Dramatische Komödie

Mein Pokerspiel ist ein komödiantisches Drama. Da verbringe ich just vorgestern noch Stunden mit Fachliteratur; alles, was auf mir verständlichen Sprachen zum Thema besser Donken veröffentlicht worden ist. Ich habe es gelesen, teilweise auch verstanden, dennoch inhaliert und auswendig gelernt.

Entsprechend gut gerüstet nach einer geruhsamen Nacht, einem ausreichenden Frühstück und einer guten Verdauung habe ich dann just gestern an den Tischen dieser Welt im weiten Netz der Fische gespielt, teilweise sogar an mehreren Tischen. Es war Drama, Baby, einfach nur Drama. So viel Pech kann man gar nicht haben; auf der anderen Seite kann man auch nicht so dumm sein; in dieser ausdauernden und langanhaltenden Permanenz.

nordischnettJa, mein Naturell ist wirklich das Drama; auch wenn es manchmal schon Züge des bizarr-lustigen aufweist. Ich bin in diesen Inszenierungen, egal ob auf Platz drei oder Sieben, egal ob mit Limit oder mit sieben Karten; immer derjenige mit der Kappe auf dem Kopf. Egal, welches Limit. Mein Limit ist erschöpft. So bin ich, so scheine ich zu sein. Ein Künstler auf diesem Gebiet. Auf den Tischen, die die Welt bedeuten. Auf den Stühlen, die die Bühne bieten für dieses großartige Schauspiel.

Meine Autoaggression des Sich-selbst-Beobachtens verwandele ich nicht in Energie. Für den Zeitraum einer Aufführung gebe ich den durchsichtigen exemplarisch einsamen Mann, der seine Mitspieler begeistert und sie für einige Stunden von deren eigenen Lebenskrampf erlöst. Dafür sorge ich bei Zuschauern für Lacher. Ich erheben keinen Anspruch mehr auf eine Statistenrolle, vielmehr ist mir die Figur des übermütig, dennoch unglücklich Fallenden auf den Leib geschrieben worden; eine herausragende und mit Preisen zu würdigende Arbeit des Intendanten und des Dramaturg.

Es muss aber ja in schriftlicher Weise der kulturinteressierten Nachwelt erinnerlich bleiben, deshalb sitze ich hier mit Feder und Tinte und erzähle meine Leiden.

Ich bin ein Spieler, der strauchelnd durch die Kulisse wirrt und sich dennoch auf den verdienten Applaus des Publikums freut. Ich bin eher Bote des Leidens denn Botschafter der Weisheit. Mit weiten Worten und schmalen Gesten verbreite ich Illusionen der großen Gefühle. Eine präzise Formulierung des frühen Ausscheidens. Keine wortlose Rede, lediglich unterbrochen von Mimik und Fingerzeigen.

Der letzte Akt, er hat begonnen; gleich neigt sich der Vorhang und auf der Bühne meiner Darbietungen findet sich ein letztes Mal eine respektable Unmöglichkeit; die, von großen Worten begleitet, die vom zerplatzten Sein bezeugt.

Der Narr tritt ab, er kann nicht mehr. Das Spiel ist gespielt, die Menschen können sich wieder anderen Attraktionen zuwenden. Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts mehr zu sehen. Die Vorstellung der Grausamkeiten ist beendet; die Schlacht haben andere besser geschlagen und gewonnen. Die Bühne wird geräumt. Morgen gibt es wieder eine Vorstellung. Mit demselben Tisch, denselben Chips, aber anderen Mitspielern und mit anderen, leider aber auch schon jetzt vorhersehbar platzenden Träumen.

Poker ist Theater. Poker ist Kunst. Kunst ist Leben, also ist Poker auch Leben. Und ein Spiel sowieso. Also ist das Spiel auch ein kunstvolles Leben. Mit entsprechendem Theater. Und das Spiel ist ein Leben. Leicht anders formuliert als es Boris Becker auf seiner aktuellen Biografie gemacht hat. Aus vorgenannten Gründen muss ich ihm hier widersprechen, auch wenn wir sonst meistens einer Meinung sind.


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