Kolumnen

Peers Politpoker

ARD 20:15 am 10. November 2015. Eine Sondersendung zum Tode Helmut Schmidts. Auch Peer Steinbrück ist zu Gast. Er gefällt mir sehr gut als er von dem Verstorbenen sagt „und anders als heute eine wichtige Unterscheidung ihn getrieben hat – und zwar die Konsequenz; nicht nur für das Handeln, sondern auch für das Unterlassen. (siehe 11:14 http://www.ardmediathek.de/tv/ARD-Sondersendung/Sondersendung-zum-Tode-von-Helmut-Schmid/Das-Erste/Video?documentId=31574408&bcastId=3304234).

Das hat Tiefgang. Das macht Sinn. So viel, dass es bis hinunter in den Entscheidungsprozess von Pokerspielern seine Gültigkeit besitzt: Wer wartet bis alles vermeintlich perfekt ist, der braucht sich nicht wundern, wenn die Ergebnisse tragisch trauriger Natur sind: Immer „weit ins beste Drittel des Turniers“ kommen, im Showdown immer weit vorne sein; aber doch kaum auf den bezahlten Plätzen, geschweige denn am Triumphieren.

Es kann zum größten Risiko werden, kein Risiko einzugehen. Übertriebener Anspruch in einem so kompetitiven Umfeld wie einem Pokerturnier ist schlichtweg nicht bezahlbar.

Ich habe am Pokertisch gelernt, mutig nach vorne zu denken. Ich habe gelernt, zwischen engen Alternativen abzuwägen und dabei rigoros zu entscheiden. Nicht immer, weil ich total überzeugt bin, sondern weil manche Situation vor allem Entschlossenheit erfordert. Nicht nur der beste Plan, gerade auch allein die beste Ausführung gewinnt.

Weiter habe ich gelernt, mir negative Ergebnisse schnell zu verzeihen. Nicht weil ich lax oder selbstherrlich bin, sondern weil ich es mir nicht leisten möchte, die nächsten Entscheidungen im Affekt zu treffen.

Als dies schwingt bei Herrn Steinbrücks Aussage mit und so war ich ziemlich sicher, dass der Mann pokern kann. Absolut überzeugt wurde ich dann ab 22:38. Peer wird gefragt: „Wie wäre er (Helmut Schmidt) mit der Flüchtlingskrise umgegangen?“

Er antwortet: „Oh ha. (Lange Pause) Also als erstes hätte er sich nicht in einer Talkshow erklärt …“

Peer Steinbrück zieht dann über einen langen abstrakt formulierten Monolog massiv über die Politik Frau Merkels her. Jedes Wort sitzt messerscharf – ob man nun gut zwischen den Zeilen lesen kann, oder auch nicht. Er reitet eine unglaublich heftige politische Attacke.

Diese Passage habe ich mir mehrfach angesehen. Sie war (völlig unabhängig von den politischen Inhalten) einfach gut performt. Ich bin absolut sicher, dass Herr Steinbrück auf diesen Spot gezielt gezockt hat und ihn dann einfach geplant und fehlerfrei runterspielt.

Meine Beobachtungen und Überlegungen dazu sind diese hier: Die Frage ist kaum ausformuliert, da huscht ein kaum merkliches Siegerlächeln über sein Gesicht. Was ein Boris Becker mit der Faust ausladend gestikulierend transportieren würde, ist bei Peer Steinbrück auf fast unmerkliche Mikromimik reduziert, aber vorhanden.

Zudem leitet er mit „Oh ha“ ein – suggeriert damit offensichtlich „Überraschung“, ja sogar den Anschein, dass ihm die Frage ungelegen kommt. So kann er aus der Rolle des Improvisierenden heraus besonders authentisch punkten. Sein Text beginnt und er zieht vom Leder. Wirkungstreffer um Wirkungstreffer. Hut ab vor dieser Nummer. Sie hat bestimmt gesessen. Denn auch heute noch kennen die wenigsten der zusehenden Wähler die uns Pokerspielern vertraute Situation, dass einer erst jammert und dann den Einsatz massiv erhöht; „Raise“ spielt.

Ich bleibe dabei: es sollten mehr Leute pokern und von den Lehren des Spiels profitieren.

Zahler zocken – Könner kalkulieren

Stephan Kalhamer
kalhamer.de


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