Kolumnen

Poker – Mathematik oder Gefühl?

Poker ist ein faszinierendes Spiel. Je länger ich es spiele, desto mehr merke ich, wie anspruchsvoll und komplex Poker wirklich ist. Es ist schön,nie auszulernen. Es geht darum, einen Blick fürs Detail zu haben. Am Pokertisch gibt es viele Informationen, die es richtig zu analysieren gilt, um daraus folgernd die korrekte Entscheidung zu treffen.

Einige Details am Pokertisch, die ich für besonders wichtig erachte, sind Timing, Setzverhalten und Körpersprache des Gegners. Im Poker ist es schwer, generelle Empfehlungen auszusprechen, da jede Situation einzigartig ist. Die beste Empfehlung ist, sich Gedanken zu machen und nicht ohne selbst nachzudenken nur noch wie ein Roboter zu spielen.

Natürlich gibt es einige Richtlinien und grundlegende Fundamente, die sich durch Mathematik als korrekt belegen lassen oder in der Regel als profitabel erwiesen haben. Dennoch ist es immer besonders bei schwierigeren Entscheidungen wichtig, die Situation im Vakuum zu sehen. Es gibt im Poker sehr viele Situationen, in denen die Mathematik zu komplex zu berechnen ist oder es Informationen gibt, die die Mathematik unerheblich machen. Deshalb sind die besten Spieler der Welt wie Phil Ivey, Tom Dwan und Ilari Sahamies auch selbsterklärte Gefühlsspieler. Dieses Gefühl fürs Spiel haben sie durch tausende Stunden und Millionen Hände entwickelt. Ich für meinen Teil habe einen sehr analytischen Spielansatz, da ich vom Online-Poker komme. Allerdings ist für mich auch immer letztendlich das Gefühl ausschlaggebend, wie ich in einer schwierigen Situation agiere. Mir wird auch immer wieder bewusst, wie wichtig es ist, sich am Pokertisch nicht zu sehr durch Mathematik oder „korrekte“ Spielweise beeinflussen zu lassen, sondern seinen Reads und Gefühlen zu vertrauen.

Besonders, wenn ich „in the zone“ bin und ein sehr gutes Gefühl für die Tischdynamik und meine Gegner bekomme, ist es teilweise unerheblich, ob ich ein Monster folde, einen Call mit K high oder einen Reraise am River mit nichts mache. In der Regel bin ich dann eher richtig, als wenn ich einem „korrekten Spielstil“ Folge leistete. Hier ist ein Beispiel von der WSOP dieses Jahr, dem 5k Event, wo ich einen „inkorrekten“ Spielzug gemacht habe – aus Gefühl und zusätzlicher Information heraus. Als erstes war ich bei 200-400 Blinds A3o im CO und habe einen losen Raise auf 1,1k gemacht. Ein recht tighter Spieler im SB hat mich gecallt und der BB, der eher loose war und hier eine große Range an Händen spielt, callt auch. Der Flop kommt , und es wird zu mir gecheckt. An dieser Stelle nehme ich den c/b, um einen c/r zu vermeiden und den Gegnern die Option zu geben, zu denken, ich hätte kein Ass. Der Turn ist eine , und nun leadet der Spieler im SB 1,8k, jetzt callt der Spieler im BB (solider Spieler). Textbuch würde hier zu einem Fold raten, da einer der beiden soliden Spieler meistens ein Ass haben sollte. Mir ist allerdings aufgefallen, dass der SB überlegte, wovor er geleadet hat, und nicht so sicher aussah. Dser BB hat das wohl bemerkt und sich dann dazu entschlossen, zu callen. Er könnte hier floaten mit einer Hand wie KQ, aber auch Middle Pair getroffen haben. Ich entschließe mich aufgrund dieser Information, auch zu callen. Der River ist eine – und nun leadet der Spieler im SB wieder, diesmal aber recht groß. Da es sich eigentlich um einen tighten Spieler handelt, müsste ich nun wieder meine Hand folden. Der BB überlegt und foldet. Ich überlege auch und calle letztendlich. In dieser Situation war mein Call auch richtig, und der SB muckt seine Hand sofort. Er hat hier wohl einen Bluff gewählt, weil er mir nach dem Check am Flop kein Ass mehr glauben wollte, und dem Spieler im BB auch keine starken Hände gab, nachdem er den Turn nur gecallt hat.

Für mich ausschlaggebend war die Unsicherheit, die ich am Turn empfand, und seine große Bet am River. Wer sich aber richtig auf sein Gefühl am Pokertisch verlassen können will, muss im Training sein. Wenn ich viel spiele und mir nach den Sessions Gedanken über Hände mache, so wird dieses Gefühl immer besser geschult und verlässlicher. Jeder muss selbst entscheiden, inwieweit er seinem Gefühl am Pokertisch vertrauen will – und wann er doch lieber nach einem festen Spielplan und Richtlinien spielt. Ich für meinen Teil glaube: Je talentierter und erfahrener ein Spieler ist, desto mehr sollte er seinen Gefühlen vertrauen und furchtlos seine Entscheidungen treffen.

Johannes Strassmann
http://www.cardcoaches.com


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
18 Comments
Inline Feedbacks
View all comments