Kolumnen

Poker 2020 – eine wichtige Erfahrung

Eine Diskussion auf Facebook um den „Fisch am Pokertisch“ brachte einige Aspekte des Pokerspiels auf und veranlasste uns, Stefan Schüttler, langjähriges Mitglied der Pokerszene und Gründer des Bad Beat Berlin e.V., zu einem Gastkommentar auf Pokerfirma einzuladen.


Poker 2020 – eine wichtige Erfahrung

„Wenn der Schuh sitzt, ist der Fuß vergessen. Wenn der Gürtel passt, spürt man den Bauch nicht. Wenn das Herz im Lot ist, gibt es kein Für und Wider.“

Idee und Illustration:
Lucia Schlattmann

Wir schreiben das Jahr 2020, und der Mai ist gekommen. Als ich vor ungefähr 15 Jahren mit dem Pokervirus infiziert wurde, war mir völlig undenkbar, dass ich eines Tages würde vor- und zurückblicken können. Was für eine Entwicklung, was für Veränderungen: Inzwischen gibt es bereits zwei deutsche WSOP-Mainevent-Gewinner, ein europäisches Großcasino mit quasi Weltgeltung, diverse Pokervereine und -verbände. Auch wenn im Vergleich mit anderen Sportarten einiges noch recht improvisiert anmutet, hat sich vieles etabliert und längst bewährt.

Und nun plötzlich – eine Zäsur. Die Casinos sind geschlossen, die WSOP ist vertagt, allenfalls verschämt finden sich zaghafte Anfragen nach einer Homegame-Runde in dieser oder jener Stadt, Pokerspieler*innen halten Abstand, nirgendwo mehr erklingt der Ruf „Shuffle up and deal!“ Vielfach hat sich das Pokerspiel ins Internet verlagert, die großen Turniere verbuchen fast neue Teilnehmerrekorde.

Und doch, ich bin “entschleunigt“, skeptisch geworden. Je mehr mir meine Pokerfreund*innen und die realen Begegnungen am Pokertisch fehlen, desto mehr ist mir bewusst geworden, wie wichtig das für mich ist. Die Begegnungen mit anderen Menschen, der ganz reale Austausch, das Kennenlernen mir bis dahin unbekannter Menschen – aus meiner heutigen Sicht ist das Pokerspiel geradezu ideal geeignet, miteinander zu spielen, zu bluffen, zu raisen, zu callen, folden?!, auf völlig offene Art und Weise in Kontakt mit mir bislang noch unbekannten Menschen zu treten.

Dabei mag es völlig unterschiedliche Ideen und Motive geben, die Menschen zum Pokerspiel verführen: Der Reiz, Geld gewinnen zu wollen, den Lebensunterhalt damit zu bestreiten oder das eigene „Ego“ zu stärken, der sportliche Wettkampf oder der Wunsch, Freunde zu finden, sich mit der Thematik „Glück und Pech“ zu beschäftigen, alte Traumata …

Ich glaube, das Pokerspiel ist so facettenreich und vielschichtig  wie auch die Menschen selbst. Entsprechend glaube ich nicht an eindimensionale Antworten auf die Frage, warum wir je konkret Poker spielen. Trotzdem oder gerade deswegen (immer radikal und niemals konsequent) stelle ich mit meinen umfangreichen Erfahrungen die These in den Raum: DAS größte und wichtigste Erlebnis beim Poker besteht (neben dem intensiven Erlebnis „Bad Beat“) in der fundamentalen Erfahrung, dass wir dazu Mitspieler*innen brauchen, denn ich erkenne und erlebe mich erst durch andere.

Alleine spielt und lebt sich Poker nicht. Alleine können Menschen Lieder singen oder Gedichte schreiben, zum Südpol laufen oder sich mit sich selbst einen schönen Abend machen, Skifahren oder Freistöße üben. Alleine Pokerspielen, das geht nicht! Stefan Zweig hat in der „Schachnovelle“ dem Schachspiel mit sich selbst ein literarisches Denkmal gesetzt. Poker hätte sich dafür nicht geeignet, denn Poker braucht ein selbständiges Gegenüber, einen Mit- und Gegenspieler, Poker ist hier eine Ausnahme, Poker alleine macht keinen Sinn.

Wenn wir nun also die Chance ergreifen und aus der gegenwärtigen Situation eine Lehre ziehen wollen, dann diese:

Poker ist ein Spiel, das nur gemeinsam mit anderen funktioniert. Sicher, es mag auch mal lustig sein, mit einem Bot oder Computerprogramm zu pokern, aber richtig schön, intensiv, lebendig und bereichernd wird Poker erst durch andere Pokerspieler*innen.

Und so freue ich mich schon jetzt auf den Moment, wo ich wieder am Pokertisch sitzen werde und mich erinnere, wie es war, damals im Mai 2020, als mir so schmerzhaft schön bewusst wurde, wie wertvoll mir genau dies alles ist. Nie wieder möchte ich meine Freude darüber vergessen – Poker gerade mit anderen Menschen, was für ein großes Glück und Geschenk.


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