She thinks I play the piano in a local whorehouse.“
Ein alter Witz und bärtig auch noch. Eigentlich unerzählbar – bei Zuwiderhandeln sollte man sich ernsthaft schämen. In meinem Fall allerdings quasi ein verkürztes Curriculum vitae. Ich hatte mal die Ehre, auf 3sat in „Treffpunkt Kultur“ porträtiert zu werden, und die ebenso verehrungswürdige Barbara Rett stellte mich ungefähr folgendermaßen vor: „Götz Schrage, ehemals Werbefotograf, Berufsspieler und Peepshow-Manager“. Und ja, meine Mutter hat zugesehen und der Rest der Verwandtschaft sicher auch. Den „Peepshow-Manager“ bestreite ich heute übrigens entschieden und ergänze meine düster strahlende Laufbahn gerne mit: „Jetzt arbeite ich aber als Pokerjournalist.“ Dann ist der imaginäre Ofen meist tatsächlich aus und alles verloren. Irgendwie leiden alle meine beruflichen Stationen unter einem massiven Imageproblem – und daran bin hoffentlich nicht ich schuld.
Probleme mit dem gesellschaftlichen Ansehen sind mehr als lästig. Wenn eine ungerechte Lücke klafft zwischen den lauteren Motiven und deren Bewertung durch die Umwelt, hat man ein Problem. Da reicht es nicht, sein Hemd ordentlich zu bügeln und freundlich zu grüßen. Auch der Schamane um die Ecke kann wenig helfen und es wäre schade um die Mistelzweige. Was man bräuchte, wäre eine Werbeagentur oder am besten gleich fünf, die sich Gedanken machen und Konzepte entwickeln für eine Imagekorrektur, weil das doch deutlich einfacher wäre als eine lebenstechnische Neuorientierung.
Poker hat ein ganz ähnliches Problem, wenn man von der fehlenden Verwandtschaft absieht. Poker wird maximal ungerecht bewertet und behandelt. Das marginale Wissen der breiten Bevölkerung basiert auf schlechten Drehbüchern und üblen Fernsehserien. Irgendwer hat spätestens in der zweiten Austeilung vier Könige, der Gegner selbstverständlich ein Straight Flush und in der nächsten Szene ist dann irgendwer anderer tot. Es lebe das Klischee! Wenn alle Autoren voneinander abschreiben, gibt es zumindest in der Parallelwelt eine neue Wahrheit. Deswegen sind Schotten ja nicht wirklich geizig, Blondinen nicht wirklich dumm, und es quietschen auch keine Reifen, wenn man am Strand scharfe Kurven fährt (außer Mel Gibson ist hinter einem her, aber dann hat man in beiden Welten ein Problem.)
In den Medien ist unser geliebter Sport auch höchst übel beleumundet. Wenn zugekokste neoliberale Ignoranten Milliarden verspekulieren, haben sie sich schlichtweg „verpokert“. Von Tim K., dem Amokläufer von Winnenden, wissen wir nicht besonders viel und schon gar nicht, was einen Menschen zu so etwas treiben kann. Für eine Schlagzeile wie: „Amokprozess: Tim K. liebte Poker und Horrorfilme“ reicht es aber immer noch. Alternativen wie „Amokprozess: Tim K. liebte Tischtennis, den Big Mac (mit Extraportion Sauce) und Stefanie Hertel“ texten sich halt nicht so geschmeidig. Und jeder Bankräuber aus einer in der vierten Generation alkoholkranken Familie, mit Neurodermitis und der zweifellos unangenehmen Erfahrung, in der Jugendherberge beim Duschen und Onanieren erwischt worden zu sein, findet seine mediale Zuordnung, solange er zumindest dreimal am Pokertisch gesehen wurde. „Spielsüchtig“, ganz klar! Wir haben ja immer schon gewusst, wohin das führen muss.
Werbeagenturen hatten in den seligen alten Zeiten, als die Pointe des Eingangswitzes noch frisch war wie der Frühling, ein ähnliches Imageproblem. Damals galt man als Teil der Gilde zwingend als ungebildet, dumm und oberflächlich. Money for nothing and chicks for einen Assistentinnenjob. Die traurige Wahrheit heute sieht allerdings so aus: Werbeagenturen sind tatsächlich eine der letzten Bildungsbastionen. Jeder Texter ist in der Regel maximal belesen, jeder Kreativdirektor hat mehr fundiertes kulturelles Interesse als die meist unfreiwillig damit beschäftigten Politiker. Wer vom originären Adaptieren anderer Ideen und Konzepte lebt, muss lebenslang neugierig und interessiert bleiben. Und es sind bei Günter Jauch die Deutschlehrer, die an Fragen scheitern wie: „Biedermann und …“ Wenn da vermaledeite vier Antworten stehen und „Brandstifter“ als erstes ausgeschlossen wird, kann es eng werden. Gut, dass es den Telefonjoker gibt. Max Frisch wird sowieso – interessanterweise durch die Werbesprache verbildet – auf Nachfrage als mögliches Testimonial für eine Produktionsreihe extra frischer Tiefkühlkost gehalten; quasi der frische Max aus der RTL-Werbung. Wobei der durchschnittliche Deutschlehrer „Testimonial“ wahrscheinlich keineswegs etymologisch richtig zuordnen könnte. Das könnte höchstens der Lateinlehrer berufsbedingt, der aber keine Zeit hat, weil er gerade Poker spielt.
Die Werbeagenturen haben am Imagebarometer die Kurve gekriegt. Kein Zweifel, die Jungs haben das geschickt eingefädelt. Aus dem Hades des üblen Images zur Institution für angewandte Gegenwartskultur. Wer seine Mutter zur Weihnachtsfeier mitbringen will, kann das ruhig tun. Winternächte sind lang und man kann später immer noch alleine losziehen, um im Puff Klavier zu spielen. Ach ja, Funk und Film haben ebenfalls reagiert: Agenturen als Schauplatz für locker-leichte Komödien quälen mich jeden Samstagabend – und wenn Mel Gibson mitspielt, rasiert er sich die Beine und bildet sich zu hören ein, was Frauen denken und so weiter. Und ja, ich hatte auch Tränen in den Augen, als Mel zur zarten Assistentin nach Hause eilte, weil er glaubte, sie wolle sich etwas antun; aber das ist dann wieder eine andere Geschichte.
Poker muss diesen Weg noch gehen. Poker hat den langen Marsch durch die Instanzen der Akzeptanz noch vor sich. Geld wird genug ausgegeben und schnell auch noch, aber es soll auch eben so schnell und vermehrt retour kommen. Imagewandel ist ein zähes Geschäft. Nicht einmal kleine Fehler werden verziehen; in der Unternehmenspolitik sind Geduld und Kontinuität angesagt. Evolutionär ein großer Schritt für eine Branche, die ihren Profit sonst schnell und in bar kassiert. Sieben Jahre oder mehr dauert es, bis ein Olivenbaum zum ersten Mal ernsthaft Früchte trägt. Ein unfassbare Ewigkeit, wenn man gewohnt ist, Handgranaten in Fischteiche zu werfen. Alles easy, schlau muss man sein. Die Beute schwimmt oben, muss nur noch zu Fischstäbchen verarbeitet werden und wird im Safe gelagert. Solange es genug Teiche und Handgranaten gibt, ist alles in bester Ordnung. Aber wehe, es ist mal vorbei mit dem Boom, dann muss man wirklich wissen, wie es geht. Erfolg verwalten und Erfolg schaffen, das sind zwei völlig unterschiedliche Disziplinen.
Meine Kollegin Alexandra Feldmann und ich unterhielten uns kürzlich zur Sachlage, einfach so und ohne großen Plan. Über Poker im deutschsprachigen Raum und wie es so weitergehen wird oder weitergehen könnte. Irgendwann war sie dann da, die Idee. Poker braucht ein wenig Hilfe, einen neuen Blickwinkel über „Freeroll“, „Bonus“ und „Affiliate“ hinaus. Quasi hin zum Olivenbaum der Langfristigkeit. Und ebenso irgendwann haben wir dann beschlossen, unsere tadellosen Kontakte zu einigen Werbeagenturen zu bemühen. Fünf Anfragen und fünf Zusagen: eine perfekte Bilanz für ein zugegeben doch recht ungewöhnliches Ansinnen. Ein imaginärer Interessenverband mit einem abstrakten Budget möchte, dass sich die besten Agenturen im Lande den Kopf zerbrechen. Poker in Deutschland, Österreich und der Schweiz braucht ein neues Image – und wir brauchen neue Ideen, um diesen Transfer medial anzuschieben.
Alle fünf Agenturen haben geliefert und pünktlich auch noch. Die doppelseitigen Anzeigen haben wir appetitlich im Magazin verteilt. Danke an alle Texter, Graphiker und Kreativen, die sich der Aktion angeschlossen haben. Aber es geht noch weiter. Alexandra Feldmann und ich werden uns bemühen, alle Kollegen aus den Medien, Agenturen und Betreibern in einer Facebook-Gruppe zu versammeln: „Poker – Die Guten Kräfte sammeln sich.“ Wenn man sich keine Lobbyisten leisten kann, bastelt man sich seine Lobby eben einfach selber. Natürlich darf es da auch keine Berührungsängste mit der Konkurrenz geben; daher werden wir die Kollegen vom Pokerblatt, PokerOlymp, Royal Flush Magazin, Hochgepokert, IntelliPoker, Pokernews u. v. m. ebenso einladen.
Vielleicht sammeln sie sich ja wirklich, die Guten Kräfte, vielleicht schieben wir da gemeinsam etwas an und alles entspannt sich zum Guten und weg von restriktiven und absurden gesetzlichen Regelungen. Irgendwann einmal wird Berlin einen schwulen Bürgermeister haben, der bei seiner Antrittsrede sagen wird: „Ich spiele Poker und das ist gut so“, weil das private Leben einfach nicht weiter interessieren sollte. Und vielleicht hat Deutschland mal einen schwulen Außenminister, der seinen Partner in der schönsten Kapelle von Las Vegas heiraten wird, um dann gemeinsam ein Sideevent der World Series of Poker zu spielen. Man wird ja noch träumen dürfen … und das lassen wir uns sowieso nicht verbieten.
Im nächsten Pokerfirma.de Magazin wird weiter geträumt. Versprochen!.