Kolumnen

Poker – Die wahre Entstehungsgeschichte

In meinem Alter schläft man immer schlechter. Immer weniger. Und man muss nachts des öfteren aufstehen. Und vor allem träumt man viel. Viel Unsinn. Viel Nonsens. Aber ich will mich nicht beklagen. Immerhin habe ich so die wahre, die einzig wirkliche Entstehungsgeschichte von Poker erfahren.

Es begann damit, dass es Licht ward. Und es wurde Licht, obwohl ich den Schalter gar nicht berührt hatte. Vor meinem Bett, auf meiner Seite des ehelichen Schlafgestells mit Kaltschaummatratze kniete ein alter, sehr alter Mann, den ich noch nie gesehen hatte, und küsste den Boden. Schiffsdielenparkett. Er kniete dort; angezogen mit einem purpurroten Jogginganzug und ebensolchen Slippern an den Füssen. Und ja, er war alt. Ich war jünger.
Er sah mir tief in die Augen. Minutenlang, ohne ein Wort zusagen. Dann plötzlich zeigte er aufgeregt auf mein Aquarium und rief: „Schau dort, Fische. Viele Fische. Und schau da, da ist Buddha bei die Fische“. Es muss ein Traum sein, ich habe gar kein Aquarium.
Er drehte sich wieder um zu mir und begrüßte mich mit förmlicher Anrede. „Du, Herr Gartenbach, sei gegrüßt. Wir kennen uns noch nicht. Obwohl wir einander kennen sollten“. Ich wusste nicht genau, warum ich ihn kennen soll. Oder er mich. Aber er erinnert mich stark an irgendjemand. Zwischendurch dachte ich sogar mal „Heiliger Bimbam, der sieht ja aus wie mein Vater“. Oder wie mein Onkel. Nur nicht mit diesem Bart.

IMG_6220Nun folgte ein Monolog seinerseits, lediglich unterbrochen durch sein Schweigen. Antworten und Fragen von mir wollte er gar nicht hören.  Seine Blicke wanderten voller Lust und Genugtuung durch meinen designmäßig eingerichteten Master Bedroom. „Schön hier, wie im Paradies. Und sogar Birnen habt ihr hier. Und Äpfel. Wie schon Konfuzius damals sagte: Lieber Veggie als Reggae. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall hat Konfuzius irgendetwas dazu gesagt. Aber der sagt ja zu allem was. Was mich übrigens immer konfus macht. Du also, Herr Gartenbach, meinst, Du wärst ein guter Pokerspieler. Oder zumindest glaubst Du das.“

Nun wusste ich definitiv, dass er sich in der Haustür geirrt haben musste.

„Du also glaubst es oder glaubst es zu wissen. Wissen aber ist anders als Glauben. Glauben heißt nicht wissen. Nur aber wer glaubt, zu wissen, der weiß auch. Und nur wer weiß, der weiß auch den Preis. Und der ist manchmal heiß“.

Er redete weiter. Ununterbrochen. Mittlerweile schaute er mich gar nicht mehr an, er wollte sowieso keine Antwort von mir. Er redete über Gott und die Welt, auch über sein früheres Leben, vor allem über sein Lebenswerk. Ich habe es immer noch nicht begriffen, aber er schien wohl damals eine relativ große Nummer gewesen zu sein. So eine Art Vorstandsvorsitzender. Er hat sich wohl auch den Urknall patentieren lassen. Als registered trademark. Als Gebrauchsmusterschutz in allen Ländern dieser Welt, mit Ausnahme von Nordkorea. Die haben eine andere Zeitrechnung.

Er fand einfach kein Ende. Und er wechselte zwischen den Themen hin und her. Nicht immer war ein Zusammenhang zu sehen. Nun fragte er mich zu meiner Kindheit aus. „Höre immer auf deine Eltern. Mutti weiß alles und Vati kann alles. Überhaupt, höre auf Mutti. Frauen sind schöne, wichtige Geschöpfe. Ob es die 72-jährige Jungfrau ist, die auf einen wartet oder ob es gläubige Frauen sind. Frauen, die Gutes tun. Nicht zu verwechseln mit Frauen, die für Geld Gutes tun“.

Er erzählte von seinen Freunden. Von Lars Krismes, von Arno Nühm und Hans Wurst. Und von Herr Kules, mit dem er eines Wintertages den Pharisäer erfunden hat. Kaffee mit Schnaps drinnen. Normalerweise trinkt er lieber einen Geist. Himbeergeist oder einen Apfelbrand. Eine schöne Spiritusebene. Nur mit Theo hat er sich mittlerweile entfreundet, wegen dessen Unehrlichkeit. Theo log. Immer. In jedem Dialog log Theo. Den hat er auch aus seinem Testament gestrichen. Aus beiden, denn er hat mittlerweile ein neues.

Und Medizin muss er auch studiert haben. Zumindest war er mal Arzt, habe ich so verstanden. Er rief nach den Blinden und Lahmen, da brachten sie ihm die Mannschaft von Hannover 96. Er rief nach den geistig Blinden, da standen dann Daniela Katzenberger und die Geissens vor seiner Tür. (Also, der Robert und nicht der Olli). Aber auch das alles getreu seinem Motto „Tue Gutes und rede darüber. Und setze es von der Steuer ab“.

Er erfand den Breakdance. Mittels Walddorfschüler, die sich gegenseitig Beleidigungen vortanzten. Und er war der geistige Vater der Stringtheorie. Die im übrigen nichts mit Reizwäsche zu tun hat. Und noch so einiges mehr hat er in seiner Vita.

Manchmal aber ist auch er, so fuhr er fort, „morgens nach dem Aufstehen grundlos schlecht drauf. Schlecht gelaunt, einfach nur scheiße drauf.“  An solchen Tagen, so sagt er, erfindet er dann so Dinge wie Mücken. Oder den Sonnenbrand. Oder alkoholfreies Bier. Und an einem solchen Tag hat er, nur um die anderen zu ärgern, Poker erfunden. An guten Tagen hat er Brad Pitt gemacht, an schlechten Tagen halt Tim Wiese.

An Tagen, an denen er schon morgens völlig beschissen drauf ist, so sagt er, „macht er dann einfach voll viel Unsinn“. Als Gag, als Spaß, zur eigenen Launeverbesserung. So was wie die FDP gründen. Oder Fußnägel wachsen lassen. Oder die Verbreitung von dadaistischen französischen Gedichten. An einem solchen Tag hat er den River erfunden.


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