Kolumnen

Poker ist Sport.

Wenn „die ganze Welt Poker ist“ und wenn Sport ein Teil dieser Welt ist, wie kann dann meine höchstgeschätzte Pokerfirma-Kollegin nur titeln: „Poker ist kein Sport“? Dies ist mein vielleicht schwerster Artikel ever.

Ich halte diesen Artikel für hochgradig politisch und deshalb ist er mir suspekt. Recht machen kann ich es hier sicher bei Leibe nicht allen. Und noch viel schlimmer: im Gegensatz zu meinen mathematischen Analysen liegt dieses Thema nicht in meiner Kernkompetenz. Hier kann ich im Notfall nicht beweisen, dass es korrekt ist, was ich schreibe. Hier schreibe ich von meiner persönlichen Einstellung und bin deshalb natürlich angreifbar.

Gerade hierin liegt aber auch der Reiz, ja die Unumgänglichkeit des Themas für mich. Ich will es geklärt oder zumindest diskutiert wissen. Denn ich bin überzeugt davon, dass Poker mehr verdient als sein historisch anrüchiges Image. Es ist ein Mindsport. Denn es verlangt dem Spieler alles ab, was auch Schach, die Mutter der Mindgames, vom Spieler verlangt.

Womit fange ich an? Sinnvoll ist vermutlich eine einleitende Begriffsklärung.

Was ist Poker? Poker ist ein Sammelbegriff vieler verwandter Spiele. Gemeinsam ist allen, dass es mindestens zwei Spieler gegeneinander (jeder gegen jeden) spielen und jeder über ein Geheimnis verfügt. Dieses schätzt man nach Güte ein und entscheidet, ob überhaupt und wenn ja, um welchen Anteil seiner Jetons, man darauf wetten möchte, dass man am Ende des Spiels die beste im Spiel verbliebene Kombination zeigt. Man spielt entweder Ringgame oder Turnier.

Was ist Sport? Hier liefert Wikipedia gute Ansätze, zunächst diesen:
Unter dem Begriff Sport werden verschiedene Bewegungs-, Spiel- und Wettkampfformen, die meist im Zusammenhang mit körperlichen Aktivitäten des Menschen stehen, zusammengefasst.

Aber auch folgendes Zitat von P. Röthig hilft:
„Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich Sport zu einem umgangssprachlichen, weltweit gebrauchten Begriff entwickelt. Eine präzise oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung lässt sich deshalb nicht vornehmen. Was im allgemeinen unter Sport verstanden wird, ist weniger eine Frage wissenschaftlicher Dimensionsanalysen, sondern wird weit mehr vom alltagstheoretischen Gebrauch sowie von den historisch gewachsenen und tradierten Einbindungen in soziale, ökonomische, politische und rechtliche Gegebenheiten bestimmt. Darüber hinaus verändert, erweitert und differenziert das faktische Geschehen des Sporttreibens selbst das Begriffverständnis von Sport.“

Besonders gut gefällt mir der Kommentar auf Wikipedia zu diesem Zitat:
Dieses Zitat verdeutlicht, dass die hinter dem Begriff Sport liegenden Bedeutungszuweisungen ganz wesentlich durch den umgangssprachlichen Gebrauch und den Kontext geprägt sind, in dem der Begriff Sport verwendet wird. Für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) steht beispielsweise die motorische Aktivität im Vordergrund. Denkspiele, die Dressur von Tieren, sowie Motorsport ohne Einbeziehung motorischer Aktivitäten entspricht daher nicht dem Sport-Verständnis des DOSB. Dennoch hat der DOSB Schach als Sportart anerkannt; das Internationale Olympische Komitee (IOC) sogar Schach und Bridge.
Umgangssprachlich wird mit Sport häufig Wettkampf und Leistung assoziiert, was sich nicht nur in Begriffen wie Denksport, Gedächtnissport oder e-Sport manifestiert, sondern auch im Anspruch verschiedener Verbände reflektiert wird, vom IOC als Sportart anerkannt zu werden.
Für die Geschichte des Sports ist bedeutend, dass er ursprünglich als Spiel dem Ernst einer Erwerbstätigkeit oder einer kriegerischen Auseinandersetzung gegenübergestellt wurde. So musste er sich von religiösen Vorbehalten befreien, wie sie gegenüber dem Glücksspiel bestanden, und konnte sich ähnlich wie Tanz und Theater zunächst nur im Hofstaat entfalten (Jagd, Turnier).

Der Begriff Sport ist also keineswegs klar zu fassen und auch Sport selbst tat sich anfangs gar nicht leicht, gesellschaftlich anerkannt zu werden. Es dauerte seine Zeit bis er salonfähig wurde. Aus unserer heutigen Gesellschaft aber ist er nicht mehr weg zu denken. Sportlichkeit gilt gar als Indiz für Erfolg, auch in Themen, die mit Sport nichts zu tun haben.

Die Begriffe sind nun also geklärt. Im nächsten Schritt möchte ich auf ein gravierendes Missverständnis eingehen. Rosi schreibt: „Poker soll endlich als Sport anerkannt werden und dann gleich als olympische Disziplin gelten. Und bei der Olympiade 2012 in London spielen dann die besten der besten Pokerspieler gegeneinander.“ Mir ist die Ironie dieser Sätze natürlich klar, trotzdem muss ich darauf eingehen. Denn nur allzu viele wissen tatsächlich nicht, was es mit Poker und Olympia auf sich hat. Poker soll keineswegs olympisch werden. Es soll vom IOC, dem Olympischen Komitee als ein Mindsport neben Schach und Bridge anerkannt werden. Niemand spricht hier von Poker als olympischer Disziplin.

Ehe ich auf weitere diskutable Aussagen eingehe, nehme ich noch einmal meine Überschrift auf:

Poker ist Sport.

Es steht nicht: Poker ist nur Sport.
Es steht nicht: Poker ist Sport?
Es steht schlicht die Aussage: Poker ist Sport.

Dies ist meine Meinung.

Im Folgenden werde ich ein paar Punkte aus Rosis Artikel zitieren, meine Sicht dazu darlegen und auch eigene Stellungnahmen ausführen:

Rosi meint, Poker sei „Ich will dein Geld und du willst mein Geld“. Nicht mehr und nicht weniger.

Nun, weniger ist es sicherlich nicht. Das stimmt. Mehr möchte ich aber doch schon meinen. Denn nur weil es Partien gibt, in denen es so zugeht wie Rosi es treffend beschreibt, kann man nicht einfach sagen, dass es sich immer so verhält. Ich kenne viele Menschen, die Poker sehr gerne spielen, weil ihnen dieses Spiel und die Art der Fragstellung, die es aufwirft, sehr zusagen. Sie würden niemals in ein Casino gehen und um Geld spielen. Was soll daran schlecht sein, warum nimmt der Echtgeldspieler immer gleich an, dass die andere Seite nur deshalb nicht um Geld spielt, weil sie „suckt“?

Im Zweifel glaube auch ich, dass ein höheres Limit per se Respekt verdient. Denn dort findet man natürlich auch die immer ernsthafteren Partien. Aber darf man deshalb alle ausgrenzen, die sich dieser Art der Leistungsmessung entziehen? Wer die hohen Limits nachhaltig schlägt, ist  gut. Aber deswegen ist ein Umkehrschluss noch lange nicht zulässig. Man ist nicht zwangsläufig schlecht, nur weil man nicht um (viel) Geld spielt. Poker sollte auch Raum bieten für die Spieler, die ernsthaft um des Spieles willen wetteifern möchten. Das ist Sport, Mindsport.

Ich selbst habe jahrelang defizitär Fußball gespielt. Ich habe meinen Vereinsbeitrag entrichtet, meine Schuhe gekauft und das Benzin für den Weg zum Training bezahlt. Wäre ich besser gewesen, dann wäre mir mehr und mehr davon erstattet worden. Ab einer gewissen Leistung wäre ich gar für meine Künste bezahlt worden, hätte quasi eine Hourly Rate erzielt. Das ist ganz normal. Das ist eine gesunde Struktur. In der Pokerbranche, wie sie heute strukturiert ist, kann jeder von heute auf morgen Weltmeister werden. Ich sehe darin auch gar kein Problem. Aber wäre es nicht auch sinnvoll neben der reinen Qualifikation über den Geldbeutel, sportliche Strukturen zu schaffen? Strukturen, die es auch den risikoscheuen Menschen unserer Gesellschaft ermöglichen, diesem Spiel vernünftig nach zu gehen? Der Fastway übers Geld darf ja gerne bleiben. Es wäre mir einfach nur wichtig, Poker auch die Möglichkeit zu geben, sauber und ohne Risiken gespielt zu werden. Denn es bietet so viel, was man auch im Alltag können sollte: es schult den Umgang mit Entscheidungen. Es lehrt das Erkennen und Abwägen von Chancen und Risiken. Es lehrt, mutig zu sein ohne zu überdrehen. Es lehrt deine Außenwirkung kennen zu lernen. Es lehrt dich offen für die Motive anderer zu sein. Es lehrt dich ein Ziel zu verfolgen, trotz und gerade nach Rückschlägen.

In der bestehenden Struktur hat Rosi völlig Recht, wenn sie schreibt:
„Poker lebt davon, dass jeder gewinnen kann. Siehe Chris Moneymaker als Stellvertreter für alle „From Zero to Hero“ Gewinner.“ Doch ich stimme ihr mittelfristig nicht zu, wenn sie meint: „Es gibt keine zwei Pokerwelten – eine in der um Geld gespielt wird und eine in der es primär ums Wetteifern und Gewinnen an sich  geht. (Für Siege darf es natürlich auch Sponsorenpreise geben.)“ Dass es dies aktuell nicht gibt, ist klar. Aber genau darum geht es doch. Poker hat mehr verdient als das aktuelle Gezocke. Es sollte auch offen sein für ein anderes zusätzliches Klientel. Ein Klientel wie es beispielsweise Schach kennt. Nur: Poker wäre sehr schnell sehr viel größer als Schach, weil es so schnell zu erlernen ist und weil es mit beliebig vielen Spielern gespielt werden kann. Dazu lässt sich ein Spiel viel schöner beschreiben als Schach. Man hat etwas, worüber es sich vortrefflich diskutieren lässt.

Wenn Poker einmal einen Status im Lichte hat, wenn Poker genauso wie Monopoly im Kreise einer Familie gespielt werden kann, dann ist Poker auch dort angekommen, wo es genauso gut hinpasst wie ins Casino: in der Mitte der Gesellschaft.

Mal sehen, ob Poker nicht doch Platz für eine zweite breite Community bietet.

Zahler zocken – Könner kalkulieren

Stephan M. Kalhamer
gambling-institute.de
– calculated gaming –


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