Kolumnen

Spieltheoretisches

Gelebte Praxis pur ereignete sich kürzlich am 6-handed Rushpokertisch. In diesem Ringgame pushte UTG 66 Big Blinds mal locker aus der Hüfte. Er sah sich dabei von allen ausser einem 40 BB starken Button gecovert.

Alle folden zu mir. Ich sitze im Big Blind und calle mit meinen Pocketdamen. UTG zeigt 66.

Was heißt das nun alles?

1. Meine Chips arbeiten konkret sehr gut. Ich habe 50% des Pots bezahlt, halte aber 80% Equity. Das entspricht einer internen Verzinsung von 60% auf wenige Sekunden. Lecker also. 😉
(Zur Erläuterung: Ich zahle 66 BB in den Pot (von 132) und mein Gegner auch. Man gewinnt mit QQ gegen 66 vier von fünf Spielen. Damit erziele ich auf fünf solcher Spiele erwartete Gewinne von 4x(132)=528. Das entspricht einem Wert von 264/5=105,6. Das sind ca. 40 mehr als die eingezahlten 66. Somit „verzinst“ dieser Pot zu ca. 60%.)

2. Meine Chips arbeiten auch nach Erwartung sehr gut. Denn ein Spieler, der mit 66 pusht, der tut dies wohl auch mit anderen Händen. Gegen einen Range wie etwa: 22+, AT+ und KQ steht QQ wie folgt:

80% vs. 22-JJ
20% vs. KK und AA
50% vs. AK
70% vs. AT-AQ und KQ

Das ergibt vorsichtig abgeschätzt im Mittel 70% Equity und damit eine interne Verzinsung von 40%. Mein Call wird erst negativ, wenn UTG tighter als TT+ und AK pusht. Denn dann liege ich zweimal vorne (vs. TT, JJ), zweimal hinten (vs. KK, AA) und einmal auf Augenhöhe (vs. AK). So tight habe ich ihn nicht eingeschätzt und Recht behalten.

3. UTGs Move ist sinnarm. Angenommen der ganze Tisch callt nur mit JJ+ und AK. Eine solche Hand tritt zufällig pro Spieler in ca. 3% aller Fälle auf. Da 5 Spieler nach UTG diese Chance haben, mag UTG den Pot in 85% aller Fälle stehlen. Damit ergaunert er sich jeweils 1,5 BB. In den 15% aber, in denen er bezahlt wird, liegt er in ca. doppelt so oft bei nur 20% Equity also bei ca. 50%. Damit ist seine gemittelte Gewinnerwartung nach einem Call bei ca. 30%. Sein Move tauscht also 66 BB in 30% Siegwahrscheinlichkeit in einem 132-BB-Pot. Das ist 40 BB wert. Damit vernichtet er im Callfall 26 BB – ein Verlust, den das Plus der Summe der Foldfälle nicht kompensieren kann.

Auch wenn man andere Ranges am Tisch unterstellt, ist die Bilanz des Push fast immer negativ. Erst wenn der Tisch zu tight callt (KK+ only) oder massiv zu loose callt, entsteht Wert für den Push. Im ersten Fall über die extrem hohe Erfolgsaussicht des Steals, im letzten über den Wert des Paares 66.

Für das Beispiel, dass der Tisch nur mit KK und AA callt, will ich es noch vorrechnen: KK+ bekommt jeder Spieler zu knapp 1%, der Tisch also zu 5% nach dem Push von UTG. Also gewinnt UTG in 95% unmittelbar 1,5 BB. In 5% aber steht UTG bei 20% Equity in einem 132er Pot. 19×1,5 =28,5 was leicht größer ist als 1×20%x132=26,4. Ich wüsste nicht, warum UTG einen so tighten Range am Gesamttisch eins Rushpoker-Ringgames so sicher annehmen dürfte, dass er es für diese dünne Marge tun sollte.

Insgesamt sieht man, dass die Wirkung von allem, was man am Pokertisch tut, mit der Güte der Annahmen über das Verhalten der Gegner steht und fällt. Poker ist zu keinem geringen Anteil spieltheoretisches Kalkül. Dieses wird zum Beispiel auf FullPokerAkademie.net aus- und weitergebildet.

Zahler zocken – Könner kalkulieren
Stephan M. Kalhamer für
gambling-institute.de
– calculated gaming –


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