Kolumnen

Traurig Schlecht…

… verstanden sehe ich meinen letzten Beitrag „Tragisch gut“. Wer sonst denn ich als Autor ist hierfür verantwortlich? „hunter22“ jedenfalls sicher nicht. Im Gegenteil: Er hakte konstruktiv nach:

„Stephan, wenn ich deinen Beitrag richtig verstehen, dann hätte der Thomas – als Underdog – mehr zocken müssen. Sprich: Alle Chips in die Mitte, selbst wenn er sich 40:60 hinten sieht. Dass nennt sich dann kalkuliertes Zocken, weil er bewußt mit ner schlechteren Chance “ans Werk” geht?! Warum auch nicht! Wenn er mit dem Luck-Faktor einen treffer landet, dann redet in einer Woche niemandmehr darüber, wie schlecht der Move in Wahrheit ist. Und aus dem “zockenden” Underdog, wurde wie von Geisterhand der kalkulierende Könner.“

Auch ist es zu 100% mir anzulasten, dass ich nicht sofort auf hunters Anmerkung aufmerksam wurde. Zu Recht macht er gut 24 Stunden später seinem Unmut darüber Luft:

“Lucken” als Besonderheit des Underdog … Zahler zocken – Könner lucken … das ist ne Erfolgsformel.“

Ich sehe aber nicht nur die emotionale Färbung, ich sehe auch den durchaus interessanten Inhalt in hunters Statement. Mein Fazit im letzten Beitrag wirkt tatsächlich zunächst verstörend:

Die Lehre, die wir alle daraus ziehen können, ist, dass es massiv PlusEV sein kann, zu erkennen, wann man unterlegen ist. Eine Entscheidung ist immer nur so gut wie die beste Alternative. Gerne versucht jeder aus einer 60% Gewinnchance eine 65% Chance zu machen. Viel mehr kann es aber wert sein, wenn man in den (hoffentlich seltenen) unschönen Situationen, in denen man hinten ist, so ehrlich mit sich selbst ist, dass man sagen kann: wenn ich hier „wild“ spiele und deshalb zu immerhin vielleicht 40% gewinnen werde, so ist das deutlich besser als wenn ich mich auf den Kampf mit der feinen Klinge einlasse, obwohl ich deutlich unterlegen bin.

Natürlich habe ich mir gerade über diesen Abschnitt schon vor Veröffentlichung intensiv Gedanken gemacht. Nun habe ich ihn erneut mehrfach gelesen und bleibe davon überzeugt, dass eigentlich alles drin steht. Besonders wichtig ist die Aussage, dass eine Entscheidung immer nur so gut ist wie die beste Alternative. Ein Beispiel:

Wir halten einen Flushdraw am Flop und der Gegner geht effektiv mit halben Pot All In. Ist das dann ein klarer Fold, weil man ja gewiss hinten ist? An dieser Stelle ist keine eindeutige Antwort zu geben. Jeder vernünftige Pokerspieler kann aus den wenigen, bisher gegebenen Informationen ein Szenario für einen klaren Call und ebenso gut ein Szenario für einen klaren Fold konstruieren.

Wichtig ist einzig der Blickwinkel des Entscheiders auf die Gesamtsituation. Er wählt dann gut, wenn er insbesondere daran glaubt, die Beste der ihm zur Verfügung stehenden Alternativen ausmachen zu können. Das muss keineswegs immer per se eine Plus-Entscheidung sein. Man trifft auch dann eine tolle Entscheidung, wenn man in unkonfortablen Situationen den Weg findet, der am wenigsten kostet.

Meine Aussage im letzten Beitrag ist also keineswegs, dass Thomas mehr hätte zocken MÜSSEN. Sie darf auch keinesfalls so verstanden werden, als solle man frohlocken, wenn man die „Vorzüge des Daseins als Dog“ für sich verwenden kann. Was ist also meine Aussage?

Als gewinnorientierter Pokerspieler sucht man Spielformen, Tische und Gegner, denen man überlegen ist, die man nachhaltig schlägt. Nun ist Poker aber kein Wunschkonzert und gerade in Turnieren kann es auch einmal vorkommen, dass man plötzlich mit wenig oder aber mit gar keinem Edge am Tisch sitzt – einfach deswegen, weil die anderen besser sind. (Je besser man spielt, desto seltener kommt solches natürlich vor.) SOLLTE es aber nun einmal vorkommen, so gilt es für jeden gewinnorientierten Spieler auch diese Situation optimal zu spielen. In dieser Situation steht auch das Optimum nun einmal unter negativer Erwartung – sonst wäre man ja nicht unterlegen.

Sich dies im Bedarfsfall eingestehen zu können und das eigene Ego dann ausschalten zu können, um auch in solch tragischer Situation die eigenen Möglichkeiten optimal auszuspielen, kann nicht nur sehr lukrativ sein: es handelt sich meines Erachtens nach um eine der schwersten Pokerentscheidungen überhaupt. Es stellt einen Sieg über die eigene Eitelkeit dar. Spieler von wirklichem Format können auch dies. Sie wissen nicht nur, wann und durch welche Moves sie vorne sind, sondern auch, wann es Zeit ist, vom hohen Ross zu steigen.

Zahler zocken – Könner kalkulieren

Stephan M. Kalhamer für
the-gambling-institute.eu
– calculated gaming –


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