Kolumnen

Viel Lärm

Vor einiger Zeit sind Götz und ich am virtuellen Pokertisch (oder eigentlich vielmehr im papierlosen Schriftverkehr) aneinandergeraten. Dabei ging alles recht entspannt los.

Ahnungslos endete ich an einem Tisch mit dem Pokerbösen – ein 6-Handed Turbo SnG. Die ersten beiden Plätze werden standardmäßig bezahlt, wir sind noch zu dritt. Der Button vegetiert mit 2 BB dahin, schiebt diese zur Mitte. Ich halte 6.480 der insgesamt 9k Chips am Tisch und stelle ein.


Götz im BB foldet letztlich, doch er greift zur Tastatur, schickt mir obigen Screenshot samt folgendem Textauszug:

Jetzt zu meiner Frage – was war da dein Gedanke?

PS: Ich habe natürlich gefoldet und der Button hat sich dann zweimal gegen dich verdoppelt.

Mein erster Versuch einer Antwort:
Der b pusht hier imo viel (ca. 40%) folglich darf ich hier oft pushen (gut 30%) demnach kannst du hier kaum callen (5-7%) alles nur so kurz übers Knie gebrochen.

Götz bleibt investigativ dran:
Mich interessiert Folgendes an der Situation: Du hast zwar einen massiven Chiplead, aber passieren kann alles. Also es könnte auch passieren, dass du den undankbaren dritten Platz belegst. Der Junge auf Platz 1 hat noch exakt 2 BB und stellt sich all-in. Warum willst du den Dritten im Bunde – in dem Fall mich – nicht mitspielen lassen? Ich dachte bisher in der konkreten Situation ist der Wert mit vier Karten gegen den Bubbleboy anzutreten höher zu bewerten, als so eine Hand wie du hattest, A5 zu pushen.

Götz weiters:
Mein Gedanke dazu bzw meine zweite Frage: Kam dein Push aus einer Überlegung, die meinen Stack mit einbezogen hat? Oder hattest du 12 Tische offen und es war der Shorthanded-habe-ein-Ass-Reflex?

Meine zweite Antwort:
… Ich kann doch hier niemanden „mitspielen“ lassen. Sobald ich nicht pushe, wirst du das machen und ich bin in einer relativ schwierigen Lage. Selbst wenn man das nicht anerkennt, hast du postflop Position auf mich. Warum soll ich hier etwas anderes tun, als was für meine Situation klar plus ist?

Ich hab dirs schnell noch durch nen Calculator gehauen, ist echt eindeutig die Situation. War mir an dieser Stelle aber (wie vorher gesagt) auch aus dem Bauch heraus sehr sicher (muss ich ja auch sein, schliesslich habe ich schnell zu entscheiden). Mit Reflex (oder wie du das titulierst) hat das nichts zu tun. Das ist eine klare Situation, Standard-Spiel.

Spielen alle optimal ihre Ranges (nash gleichgewicht) schaut die Situation so aus:

BU 33.8%, 33+ Ax+ K4s+ K7o+ Q8s+ Q9o+ J9s+ JTo T9s
SB
29.1%, 22+ A2s+ A3o+ K6s+ K9o+ Q8s+ QTo+ J9s+ T9s
BB
8.4%, 77+ ATs+ ATo+

b pusht also 33,8, ich repushe 29,1 und du callst mit 8,4. Mein A5 fällt da erst sehr spät aus dem Range, ich tippe mal nur für den Fall, dass b in Wahrheit nur 15% oder weniger pusht, was hier unabhängig vom Gegnertyp unrealistisch ist. Somit ist meine Situation eindeutig. Der Rest interessiert mich als Pokerspieler nicht (als Mensch ist das was anderes, da kann man schon mal jemanden „mitspielen“ lassen, gerade dich. 😉 ).

In einer weiteren Mail hake ich noch einmal nach, ehe sich die Sache in ein nettes Telefonat verläuft. Hier die inhaltsneuen Zeilen dieser Mail zur Frage, warum ich pushe anstatt zunächst callend „runter-zu-checken“.
Ich pushe, weil es – wie ich dir um mein erstes Gefühl zu unterfüttern, sogar rechnerisch mit Aufwand nachsimulieren habe lassen – die beste Alternative für mich ist, hier zu pushen. Mein Push bringt einfach am meisten Cashvalue, exakt darum spiele ich ihn. Ja, mein Verhalten bezieht deinen Stack mit ein, nämlich aus der exakt erörterten Überlegung heraus, dass du nur mit 8,4% deiner Hände callen kannst und bei anderem Verhalten von deinem Optimum abweichst. Dies liegt an deinem Stack und dem Zusammenspiel aller Stacks. Ich weiss nicht, wie viele Tische bei mir gerade offen waren. Den genannten Reflex kenne ich nicht. Aus meiner Unkenntnis heraus, kann ich nur vermuten, dass es der Shorthanded-habe-ein-Ass-Reflex nicht war. 😉

Final schreibt dann Götz unter anderem dies:
Dein All-in widerspricht dem was die Mehrheit der Pokerspieler glaubt – genau in der Situation eben den dritten Mann im Spiel zu lassen als quasi Pflicht der Vernunft. Würde mal sagen, von den 300 Pokerspielern die im EUROPA und den anderen Kleincasinos spielen, glauben 300, dass da call und durchchecken der richtige geldorientierte Move ist. Das bedeutet aber nicht, dass die 300 nicht Unrecht haben könnten und das Ganze zu einer mir ohnedies wenig sympathischen Poker-Ettikette geworden ist. – Bei den hunderten Turnieren die ich schon geleitet/gedealt/beobachtet habe, gäbe es ein maximales Geheule – aber um es zu wiederholen, es wird oft falsch geheult und sich aufregen, heißt nicht automatisch recht haben. Werde den Move in mein Reportoire nehmen und wenn sich dann alle auf mich stürzen, weil der dritte Mann mit j3 gewonnen hätte und wir „im Geld“ wären, werde ich sagen „beschwert euch beim Kalhamer“ ( :

… in diesem Sinne noch einen schönen Abend.
Götz


Na dann beschwert euch mal. Vielleicht war es aber auch einfach ein interessanter kurzweiliger Artikel, den wir euch kostenfrei und zu eurer freien Entscheidung anbieten. Dies zudem sogar gerne.

Zahler zocken – Könner kalkulieren

Stephan M. Kalhamer für
the-gambling-institute.eu
– calculated gaming –


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