Kolumnen

Warum Black Jack, Sportwetten und Poker mehr gemeinsam haben, als man denkt

Die Idee zu diesem Artikel verdanke ich eigentlich zwei Freunden, mit denen ich mich unlängst über meine Zeit als Kartenzähler beim Black und meine Faszination für Sportwetten in der NFL (American Football) unterhalten habe. Beide zeigten sich genauso fasziniert wie überrascht über diese beiden, für sie unerwarteten Facetten meines Lebens. Sind diese drei grundverschiedenen Spiele – ein von der Spielbank betriebenes Glücksspiel; Wetten, die mit Spielkarten gar nichts zu tun haben; und ein Kartenspiel, das nicht gegen die Spielbank gespielt wird – wirklich so unterschiedlich? Für mich sind sie es nicht. Und warum dem so ist, möchte in den beiden Teilen dieses Artikels aufzeigen.

Die frühen Jahre – Kartenzählen beim Black Jack

Ehrlicherweise muss man aber zugeben, dass ich das damals wohl auch nicht so gesehen hätte. Damals, das war 1998, als für mich auf dem Rückflug von Las Vegas mit dem Buch „Beat the Dealer“ von Edward O. Thorp eine Reise begann, die bis heute noch nicht beendet ist.

In diesem Buch beschreibt Thorp, dass man mit einer speziellen Technik (dem sogenannten Kartenzählen) das „Glücksspiel“ Black Jack tatsächlich legal schlagen kann. Klang spannend – aber „sogenannte“ Gewinnsysteme gab es ja auch schon für Roulette oder Craps. Doch je mehr man sich mit der Materie beschäftigte, desto klarer wurde, dass es hier nicht um Voodoo, sondern um knallharte mathematische Grundlagen ging und Thorps Erkenntnisse schon lange weltweit anerkannt waren. Thorp hatte ein System entwickelt, bei dem die Karten in Kategorien eingeteilt wurden und man sich „nur“ merken musste, ob bereits viele hohe oder niedrige Karten ausgespielt waren. Daraus konnte man erkennen, ob man in einer positiven oder negativen Situation gegenüber der Bank war, ohne ein photographisches Gedächtnis besitzen zu müssen. Und je positiver die Situation war, desto mehr konnte man setzen.

Leider aber war Thorps Technik, die noch aus den 60er Jahren stammte, inzwischen veraltet und selbst kurz vor der Jahrtausendwende in dieser Form gar nicht mehr profitabel einsetzbar. Recherche im Internet brachte dann jedoch den Namen Stanford Wong (eigentlich: John Ferguson) zutage. Wong ist den meisten sicher nicht so geläufig wie z. B. Andy Bloch (der ja ebenfalls als Kartenzähler beim Black Jack begonnen hatte) – aber auf seine Weise ist auch Wong eine Legende. Er hatte nämlich nicht nur Thorps System aktualisiert und verbessert, sondern auch mit seinem BJ21-Internet-Forum einige der besten Kartenzähler zusammengebracht. In diesem Forum gab es einen Informationsaustausch, der seinesgleichen suchte. Das soll jetzt nicht heißen, dass es bei 2+2 oder ähnlichen Pokerforen nicht auch wertvolle Informationen zu finden gäbe. Man muss diese Perlen halt oft zwischen vielen Posts von äußerst egomanischen Pokerspielern suchen, die sich selber wichtiger als die Sache nehmen. Aber das wäre dann schon fast wieder eine neue Geschichte …

Dagegen waren erfolgreiche Cardcounter bei BJ21 ständig bereit, den Anfängern die wichtigsten Fallstricke zu erklären. Die Spezialität eines Posters namens „Parker“ war z. B. der sogenannte „Long Run“. Und wer sich selbst einmal länger mit der Materie beschäftigt hatte, konnte wohl die Verzweiflung verstehen, mit der er versuchte, uns Anfängern zu erklären, warum eine einzelne Session bedeutungslos ist, ein Stop-Win bzw. Stop-Loss keinen Sinn hat und warum „Streaks“ zwar existieren, aber für das Spiel bedeutungslos sind.
Auch Don Schlesinger – in der Black-Jack-Welt wohl das mathematische Pendant zu David Sklansky – haben die Kartenzähler viel zu verdanken. Ohne seine mathematischen Grundlagen (und sein Buch „Blackjack Attack: Playing the Pros’ Way“) wären viele bereits im Ansatz gescheitert. Während Wong und Schlesinger in der Pokerwelt niemals bekannt geworden sind, hat ein anderer den Sprung gewagt: Arnold Snyder und seine „Poker Tournament Formula“ sind sicher auch einigen Pokerspielern ein Begriff. Bekannt war er aber bereits lange vorher durch seine Black-Jack-Publikationen (insbesondere „Blackbelt in Blackjack: Playing 21 as a Martial Art“).

Sicher gehören aber die Begriffe Long Run, Stop-Win bzw. Stop-Loss und Streaks zu den Grundlagen, die am Ende näher im Detail zu betrachten sind.

Die Faszination für die Sportwetten

Stanford Wong war aber auch Betreiber eines weiteren Forums unter dem Namen „Sharpsportsbetting“, das sich – wie der Name schon sagt – mit Sportwetten beschäftigte. Zufall? Sicher nicht, denn auch hier waren mathematische Konzepte die Grundlage für erfolgreiche Handicapper (Analysten von Sportwetten) wie Fezzik, Dan Gordon, Scott Kellen und eben auch Stanford Wong. Während unseriöse „Scamdicapper“ wie z. B. Jim Feist und Wayne Allyn Root versuchten, ihre Picks rein marketingtechnisch aufbereitet im nationalen US-Fernsehen als „unverlierbare Wetten“ zu verkaufen, ging es „Sharpsportsbetting“ darum, zu zeigen, dass es aufgrund der mathematischen Gesetzmäßigkeiten normalerweise eben keine unverlierbaren Wetten gibt. Trotzdem kann man sich aber genau diese Gesetzmäßigkeiten zunutze machen und langfristig gewinnen. Langfristig! Genau daraus resultiert ein wichtiges Konzept für erfolgreiche Sportwetten: die Tatsache, dass das einzelne Ergebnis nicht wichtig ist. Wichtig ist, dass man insgesamt eine positive Erwartung hat – am Anfang vielleicht ein sehr ungewohntes Konzept.

Eine Sportart wie American Football war schließlich ein Spiel, das einen interessierte. Es gab Mannschaften, die man lieber mochte oder für besser hielt. Wenn man also wettete, tat man das, weil man glaubte, dass eine Mannschaft besser war und gewinnen würde – oder etwa nicht? Eben nicht! Und genau das ist das zweite Konzept, das wir beleuchten werden: Einzelergebnisse sind bedeutungslos – entscheidend ist nur die Frage, ob das Team ein Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent bietet, die Wette zu gewinnen. Gestützt wird das Ganze natürlich auch dadurch, dass die smarten Wetten keine Wetten auf den Sieg eines Teams sind. Profitabel sind vor allem die sogenannten Spread-Wetten; d. h. der Favorit muss mit einer bestimmten Mindestanzahl von Punkten gewinnen bzw. der Underdog darf nur eine bestimmte Anzahl von Punkten zulassen. Der Vorteil dieser Wettart: Auch absolute Underdogs, von denen man wusste, dass sie keine Chance auf einen Sieg hatten, konnten eine profitable Wette sein, wenn die angebotenen Punkte, die sie bekommen durften, groß genug waren.

Die Verbindung zwischen BJ, Sportwetten und Poker

Dank einiger erfahrener Kartenzähler und Sportwetter kann ich mich also heute zu den Glücklichen zählen, die schon lange, bevor sie das erste Pokerblatt gespielt haben, einen Zugang zu zwei der wichtigsten Grundelemente von Spielen hatten, die auf statistischen Wahrscheinlichkeiten beruhen:

1.Long Run, Stop-Win bzw. Stop-Loss und Streaks
2.Einzelergebnisse sind bedeutungslos.

Long Run, Stop-Win bzw. Stop-Loss und Streaks

Immer dann, wenn wir mit Wahrscheinlichkeiten arbeiten, geht es auch um eine entsprechend große Anzahl von Vergleichsdaten. Wenn man also einen Würfel wirft, ist die die Chance, eine 6 zu würfeln, 1:5. Theoretisch. Praktisch gesehen kann man aber auch 10-mal oder mehr hintereinander keine 6 würfeln. Macht man aber genügend Würfe, dann gleicht sich diese Abweichung aus und man wird tatsächlich dem optimalen 1:5-Verhältnis ganz nahe kommen.

Wer das einmal wirklich verstanden hat und auf das konkrete Spiel übertragen kann, realisiert auch, dass es sogenannte „Streaks“ (Downswings oder Upswings) zwar gibt – einem das Wissen darüber aber leider nichts nützt. Letztlich wäre beim Würfelbeispiel ein Streak eine Phase, in der man im Verhältnis deutlich mehr oder weniger als 1:5-mal die 6 würfelt. Natürlich passiert das – aber da der Würfel kein Gedächtnis hat, gibt es keine Möglichkeit, diese Up- oder Downswings vorherzusehen. Wenn man also trotz bester profitabler Situation im BJ genau diese optimalen Hände immer wieder verliert, die Asse im Poker zum wiederholten Male gebusted werden oder aber alle Teams, auf die man an einem Wochenende gewettet hat, genau den einen sicheren und wichtigen Punkt verschenken – dann sitzt niemand am Doomswitch. Dann ist das schlichtweg „Pech“ … und „Pech“ lässt sich mathematisch als negative Varianz beschreiben. Wir stehen also gerade auf der Seite, auf der wir die 6 weniger oft würfeln, als es theoretisch passieren sollte. Immer vorausgesetzt natürlich, man spielt ein Spiel mit positivem Erwartungswert! Und weil sich naturgemäß das Gedächtnis leichter und länger an negative Ereignisse als umgekehrt erinnert, hat man meist das Gefühl, mehr „Pech“ als „Glück“ (positive Varianz) zu haben. Mathematisch gesehen gleichen sich beide aber auf lange Sicht aus.

Hat man das erst einmal akzeptiert, dann gibt es weder ein „Stop-Loss“ noch ein „Stop-Win“ – zumindest aus mathematischer Sicht. Wenn man nicht weiß, ob ein positiver oder negativer Lauf gerade angefangen hat oder kurz vor dem Ende steht, kann man auch Gewinne und Verluste nicht begrenzen. Entscheidend ist daher nicht die Frage, ob man zum wiederholten Mal am River eins draufbekommen hat. Entscheidend ist, ob man der Meinung ist, dem Gegner immer noch überlegen zu sein. Oder man beim BJ weiß, dass man sich kartenzähltechnisch immer noch in einer positiven Situation befindet. Oder wenn die eigenen Statistiken in der NFL weiterhin korrekt sind. Und hat man eine positive Gewinnerwartung, dann kann (und muss) man solange weiterspielen, wie man sich in dem Spiel wohlfühlt. Hunger, Müdigkeit, mangelnde Konzentration oder der Umstand, dass der Fisch den Tisch verlassen hat, sind Gründe, ein Spiel zu beenden … ein Downswing oder der Versuch, Gewinne abzusichern, sicher nicht.

Einzelergebnisse sind bedeutungslos

Die gerade beschriebenen Grundkonzepte wiederum stehen in direkter Verbindung mit der Bedeutungslosigkeit von Einzelergebnissen. Wer sich entscheidet, mit Assen pre-flop all-in zu gehen, ist ca. 8:2-Favorit. Das ist viel! Im Black Jack ist es in den besten Situationen eher 6:4 und bei den Sportwetten vielleicht sogar noch ein bisschen weniger. Für alle Fälle gilt aber, wie oben beschrieben, der Long-Run. Spielt man dieselbe Situation oft genug unter denselben Bedingungen, dann geht man langfristig als Gewinner heraus. Was allerdings gerade einige Pokerspieler nicht zu verstehen scheinen: Auch als 8:2-Favorit können Asse 20-mal hintereinander verlieren. In dem Moment, wenn das Geld in den Pot gegangen ist, ist das tatsächliche Ergebnis dieser einen speziellen Hand absolut bedeutungslos. Man lässt dem „Schicksal“ (der Varianz) seinen Lauf und das „Schicksal“ hat – wie die Würfel – kein Gedächtnis. Also doch ein Glücksspiel? Die einzelne Hand sicher, auf die hat man keinen Einfluss. Die Frage, ob man langfristig mit positiver statistischer Erwartung mehr gewinnt? Die ist eben keine Frage des Glücks … sondern nur eine der Mathematik.

Ganz so einfach ist das Ganze übrigens nicht für Turniere. Turniere kennt man natürlich überwiegend vom Poker. Aber auch BJ und Sportwetten gibt es in Turniervarianten. Hier gibt es ein großes Problem: Der Long-Run wird in einem einzelnen Turnier eigentlich nie erreicht. Eine Black-Jack-Session, eine Poker-Cash-Session oder ein NFL-Wochenende sind keine Einzelereignisse, sondern nur Teil des Long-Runs. Wenn man eine Pokersession nach vier Stunden abbricht und sich eine Woche später wieder an den Pokertisch setzt, setzt sich der Long-Run einfach fort. Die Pause verändert überhaupt nichts.

Turniere sind dagegen abgegrenzte Ereignisse. Scheidet man aus dem Turnier aus, so ist das Turnierleben beendet. Die Zeit, die ein Turnier dauert, reicht niemals, um den Long-Run zu erreichen. Deswegen ist natürlich die Varianz (statistische Abweichung vom Erwartungswert) innerhalb eines Turniers viel größer. Kompensiert wird dies zum einen dadurch, dass es für bessere Platzierungen deutlich mehr Geld gibt. Spielt man genug Turniere, wird darüber hinaus natürlich auch eine Art Long-Run erreicht. Genau deswegen findet man auch immer wieder dieselben guten Pokerspieler ganz oben in den Ergebnislisten der Turniere. Aber aus dem gleichen Grund gibt es auch immer die One-Day-Wonders, die auf einer Welle der positiven Varianz zum Sieg bei einem Einzelereignis (einem einzelnen Turnier) getragen werden.

Das bedeutet aber nichts anderes, als dass man in einem Turnier einen größeren positiven Erwartungswert benötigt. Während man im Cashgame eine 55:45-Chance immer gerne wahrnimmt, ist das in einem Turnier (außer als Shortstack) viel zu wenig. Hier will man ein größerer Favorit sein (um die Varianz möglichst gering zu halten) oder am liebsten „schicksalshafte Situationen“ vermeiden. Am Ende bleibt auch hier nur die Erkenntnis: Sind die Chips im Pot und werden noch Karten gegeben, begebe ich mich in die Hand der schicksalshaften Varianz und das einzelne Ergebnis ist (langfristig gesehen) bedeutungslos.

Gleichzeitig zeigt sich hier aber einer der größten Vorzüge des Pokerspiels gegenüber Black Jack und Sportwetten: Mit intelligentem Spiel kann man in vielen Fällen die Varianz ganz ausschalten. Wenn es gelingt, einen Pot vor dem Showdown zu beenden, dann setzt man sich niemals der Varianz aus. Oder man hält die Nuts und kann seine Hand nicht verlieren. Die Mathematik der großen Zahl ist ausgeschaltet, das Spiel findet auf einer anderen Ebene statt. Diese Komponente fehlt dem Black Jack komplett. Aber gerade diese Komponente ist in Turnieren ein weiterer wichtiger Faktor, um die vergleichsweise hohe Varianz weiter zu minimieren.

In einer gewissen Weise gibt es die „Nuts“ übrigens auch bei den Sportwetten. Hin und wieder gibt es Situationen, in denen man ein sogenanntes „Middle“ erhält. In diesem Fall sind die Quoten in unterschiedlichen Sportsbooks so, dass man Wetten abschließen kann, in denen in jedem Fall entweder eine der beiden oder sogar beide Wetten gewinnen. Leider sind diese Situationen aufgrund der modernen Computertechnik äußerst rar geworden. .

In der nächsten Ausgabe wird sich der zweite Teil des Artikels dann vor allem mit der Frage beschäftigen, warum auch die Skillgames trotz aller Mathematik zum Glücksspiel mutieren können.


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