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Werte-Poker

Hermann Pascha hat bekanntlich immer viel zu sagen. Nicht immer ist man mit ihm einer Meinung, im Gegenteil, er polarisiert wie kaum ein anderer in der Pokerszene. In der letzten Ausgabe des Royal Flush Magazins hat er sich mit dem Thema „Werte“ auseinandergesetzt.

Werte-Poker

Ging es in der vergangenen Kolumne um Glück und Können, möchte ich mich diesmal dem mir wichtigen Thema „Werte“ widmen. Dabei steht nicht so sehr das Materielle im Vordergrund, sondern vielmehr die persönlichen Werte. Oscar Wilde hat es bereits vor mehr als hundert Jahren sehr treffend formuliert: „Heutzutage kennen die Leute von allem den Preis und von nichts den Wert.“ Diese Aussage scheint auch in unserer Zeit, in der das „wie bist du“ wieder vermehrt durch das „wer bist du und was hast du“ ersetzt wird, gültig. Sei es im Alltag wie auch beim Pokern.

Lernten in traditionellen Gesellschaften die Jungen von den Alten, ist es in unserer modernen Gesellschaft zu einer teilweisen Umkehrung dieses Prinzips gekommen. Ob das immer von Vorteil ist, wage ich zu bezweifeln. Denn schaue ich mir etwa die Auflagen von manchem jungen Pokerspieler an, muss ich mich eher wundern als gewillt zu sein, von ihnen zu lernen. Wie etwa kürzlich bei der CAPT in Velden. Da wurde, ohne mit der Wimper zu zucken und mit einer Nonchalance, um Summen gezockt, die mich längst hätten nervös werden lassen. 100/200 wurde da bei einem Buy-in von 20.000 gespielt. Den Jungs, die bis zu 200k vor sich liegen haben, fehlt anscheinend überhaupt das Verhältnis zum Geld. Durch das vermehrte Internet-Pokern scheinen sie auch live nach einem Punktesystem zu spielen, nach Wahrscheinlichkeit oder was weiß ich. Die Nummer ist mir zugegebenermaßen zu hoch. Klar, ich gehöre nicht zu den Armen in diesem Land und spiele teils auch mit ordentlicher Auflage. Aber mit 200.000 setze ich mich nicht hin und fange das Spielen an, das leiste ich mir nicht. Noch dazu im Omaha, wo es tausend Varianten gibt. Wenn es blöd hergeht, ist die Auflage, so wie die spielen, ja sogar in einem Spiel fort. Das ist es mir einfach nicht wert, denn dafür habe ich mein Geld zu hart verdient. Da scheint das Geld abgeschafft zu sein – eigentlich müsste jeder, für den Geld noch einen Wert hat, von vornherein passen. In diesen Größenordnungen stimmt einfach auch die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Es kann mir keiner erzählen, dass er die für solche Summen als Minimum nötige Million auf dem Konto hat. Selbst wenn ich „lediglich“ 500.000 auf dem Konto habe, kann ich nicht in einem Spiel 200.000 riskieren. Natürlich hat bei Poker der reelle Wert schon immer eine untergeordnete Rolle gespielt. Und es hat seit jeher überhöhte Einsätze gegeben – auch früher haben die Leute noch ihre letzte Kuh verzockt. Aber selten in einer solchen Häufigkeit, in diesem Alter und vor den Augen der Öffentlichkeit.

Die Jugend scheint beim Poker allgemein lockerer zu sein. Nicht nur bei der Höhe der Auflage. Auch bei Turnieren. Da hat sie wirklich Stil. So wird auch nicht etwa dem Dealer die Schuld gegeben, wenn aus einer guten Hand plötzlich eine schlechte wird. Die Jungs zeigen kaum eine Regung, sei es, wenn sie einen Pot verlieren oder großgewinnen. Es scheint sie einfach nicht zu jucken. Mich ärgert das oft ordentlich, wenn ich verliere, das muss ich schon zugeben. Natürlich zeig ich es auch nicht so nach außen, aber innerlich könnte ich da oft zerspringen. Wie zuletzt bei der EPT Berlin. Da wäre ich schon gerne länger dabei geblieben. Dass ich zwei Mal mit der gleichen Hand, nämlich zwei Königen, hintereinander dem gleichen Mitspieler, der zwei Asse hat, hineinlaufe, macht mich heute noch sprachlos. So einen Zufall muss es erst einmal geben. Und da dann gute Miene zum bösen Spiel zu machen ist etwas, das eben gerade die Jungen super beherrschen und wo ich mir dann schon was abschaue.

Mir ist klar, dass ich für viele der alte Mann bin, der mit seinen Ansichten oft gegen den Mainstream schwimmt und ich gerade in der Pokerszene eher durch meine Aussagen als durch mein Spiel bekannt geworden bin (natürlich zu Unrecht, aber davon ein andermal). Böse Zungen behaupten auch: „Der Pascha ist in der Vergangenheit hängen geblieben.“ Aber ich zähle mich durchaus nicht zu „den Ewiggestrigen“, die sich immer und aus Prinzip an „die gute alte Zeit“ klammern. Sehr wohl aber zähle ich mich zu den Anhängern der traditionellen Werte. Werte, die von der heutigen Jugend nicht nur zum Teil nicht mehr anerkannt werden, sondern die sie gar nicht mehr zu kennen scheint. Was man ihr auch nicht immer verübeln kann. Sehr wohl aber unserer Gesellschaft, die anscheinend weder materielle noch ideelle Werte mehr vermittelt. Denn gewisse Grundsätze nicht zu befolgen und diese erst gar nicht kennengelernt zu haben sind zweierlei Paar Schuhe. So darf man sich dann auch nicht wundern, wenn die Jugend nur an Cholesterin denkt, wenn von Werten die Rede ist
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Die Aufgaben-Umverteilung von der Familie auf gesellschaftliche Institutionen – und damit in den öffentlichen Raum – hat einfach nicht funktioniert. Denn soziale Fähigkeiten, und dazu zähle ich auch das Leben von Werten, lernt man nun einmal zuerst in der Familie. Das fängt schon beim guten Benehmen an. Wo sollen die Kinder es herhaben, wenn die Eltern vermehrt durch die Anforderungen des Berufsalltags durch Abwesenheit glänzen und die Kleinen vorm Fernseher landen? Dort können sie dann Politiker beobachten, die bei einer Übertragung des Bundestags nicht einmal aufstehen, um die Bundeskanzlerin zu begrüßen, wenn diese auf dem Weg zu ihrem Platz verschiedene Abgeordnete per Handschlag begrüßt. Die Herren bleiben einfach sitzen, das ist der Hammer. Viele denken sich vielleicht, das Aufstehen bei einer Begrüßung sei nicht wichtig. Aber Benehmen an sich regelt nun einmal die Art und Weise unseres Miteinanders und ist Ausdruck von gegenseitigem Respekt. Das beginnt schon bei der Begrüßung beziehungsweise dem Grüßen. Ich werde mittlerweile komisch angesehen, wenn ich auch zu fremden Leuten „Grüß Gott“ sage. Dabei ist das für mich, etwa beim Betreten eines Lokals, völlig normal. Bereits mein Vater hat gepredigt: „Bua, grüß jeden Mann auf der Straße. Du weißt nie, wer von ihnen dein Vater ist.“

Jetzt werden natürlich viele wieder sagen, dass sich mit meinem beruflichen Hintergrund da gerade der Richtige zum Moralapostel ernennt. Aber so einfach kann man das nicht abtun. Denn für mich zählen Werte wie Familie, Freundschaft, Ehrlichkeit, Disziplin oder auch Handschlagqualität nicht nur, ich lebe sie auch. Sei es privat, im Business und natürlich auch beim Poker.

Wobei sich der Wertewandel beim Poker, zeitlich betrachtet, eigentlich gegenteilig vollzogen hat. Galt Pokern früher als Verbrecherspiel, das mit rauen Sitten verbotenerweise im Hinterzimmer gespielt wurde, ist es heute zum Gesellschaftsspiel avanciert, dessen Teilnehmer sich an Regeln sowie Fairness halten. Hier wird Geld noch auf gegebenes Wort verliehen und kommt auch wieder zurück. Im Gegensatz zum „normalen“ Leben, wo es regelrecht modern geworden ist, den anderen über den Tisch zu ziehen. Sei es mit oder ohne Vertrag. Wobei für mich ohnehin nur der Handschlag zählt, zumal ein Vertrag lediglich dazu da ist, Rechtsanwälten ihr Geldverdienen zu lassen.

Handschlagqualität sollte eigentlich normal für einen Menschen sein, der sich in der Früh beim Rasieren in den Spiegel schauen will. Natürlich wird man auch einmal in Versuchung geführt und auf die Probe gestellt. Bei mir war es zum Beispiel am Beginn meiner Berufslaufbahn. Da war ich Anfang zwanzig und hatte mehrere Diskotheken. Ich habe damals mit jemandem per Handschlag die Ablöse für eine weitere Diskothek ausgemacht. Als wir zusammen den neuen Pachtvertrag mit der Brauerei unterzeichnet hatten, hätte ich mich eigentlich aus dem Staub machen können, weil der Vorbesitzer lediglich eine mündliche Zusage von mir hatte und ich den Vertrag mit der Brauerei bereits in der Tasche. Es ging um 150.000 DM – heutzutage keine große Summe, wenn es um die Ablöse eines Topstandorts geht, für mich war das damals aber extrem viel Geld. Und es gab keine Zeugen! Schließlich habe ich meinen Vater gefragt, was er, der als Viehhändler seine Geschäfte nur per Handschlag abwickelte, an meiner Stelle tun würde. „Bua“, hat er gesagt, „entscheiden musst du, aber des ist ganz einfach: Man muss sich immer in den Spiegel schauen können. Und wenn du dein Wort nicht hältst und dich da anschauen kannst, dann sparst dir die 150.000 DM. Wenn du das nicht kannst, dann zahlst.“ Also habe ich bezahlt. Auch wenn ich das damals schweren Herzens gemacht habe, heute bin ich stolz darauf und meinem Vater dafür dankbar.

In Erinnerung an meinen Vater habe ich die alten Werte immer hochgehalten und bin gut damit gefahren. Er war mir eben ein gutes Vorbild. Etwas, das viele Menschen heute leider selten haben. Sei es im Privaten oder im Berufsleben. Denn es gibt kaum jemanden mehr, der noch das Interesse aufbringt, sich mit der Jugend quasi rumzuärgern und ihr Dinge zu vermitteln. Statt vorgelebt und argumentiert, wird vermehrt dargestellt und inszeniert, aus dem einstigen Erziehungs- wurde ein Beziehungsverhältnis. Das Resultat ist eine Jugend auf der Suche nach Sinn und nach Menschen, denen sie noch Respekt und Achtung entgegenbringen kann, die ihr (Erfahrungs-)Werte vermitteln, selbst etwas geleistet haben und die halt nicht Wasser predigen und Wein saufen. Menschen, die auch traditionelle Werte leben und im Leben mehr erreicht haben als jede Menge Genuss konsumiert zu haben und bei jedem Spaß dabei gewesen zu sein.

Denn Spaß allein macht – entgegen der zurzeit vorherrschenden Meinung – auf Dauer nun einmal nicht glücklich. Da gehört schon mehr dazu. Etwa auch nach seinen selbst reflektierten und als richtig empfundenen Werten zu leben. Ich möchte hier sicher nicht die Welt in Gut und Böse aufteilen. Welche Werte für einen richtig sind, muss jeder selbst entscheiden. Ob die derzeitige Entwicklung, nämlich von den traditionellen Werten völlig Abstand zu nehmen, gut ist, wage ich allerdings zu bezweifeln. Prinzipiell halte ich es mit Wilhelm Busch, der da meinte:
„Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man lässt.“

 

Hermann Pascha


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