Kolumnen

Zur „neuen Dimension von Dummheit“

So zitiert die Bildzeitung den Vorsitzenden der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt Bezug nehmend auf den Überfall auf die EPT Berlin. Das ganze Thema stimmt mich traurig.

Seit Jahren bin ich stets bemüht, Poker in seinem zeitgemäßen Licht zu zeigen. Poker lässt sich schon lange nicht mehr erfolgreich zocken. Die taktischen Elemente des Spiels sind von vielen Spielern erkannt. Der Trend der Einsätze hat eine eindeutige Richtung hin zu denen, die das Spiel zu kalkulieren verstehen.

Trotzdem gibt es immer noch massive Vorurteile. Sehr oft bestehen sie aus blanker Unkenntnis heraus. Deshalb ist der Schaden dieses Überfalls nun auch so massiv: Poker erreicht endlich das breite Publikum! Aber leider nicht mit einer positiven Schlagzeile von einem wahren Champion des Sports. Nein! Räuber rücken uns ins Rampenlicht, in den Blickwinkel all derer, die Poker zuletzt von Terrence Hill gespielt gesehen haben, den aktuellen Trend zum Denksport hin skeptisch sahen und nun die Verbindung Poker und wilder Westen bestätigt sehen. Es wird Jahre dauern bis sich diese Verknüpfung im Gehirn so vieler wieder lösen lassen wird. Wirklich schade!

Wenigstens war vieles sehr aufschlussreich in den letzten Tagen:

Götz hat vollkommen Recht, wenn er Boris dankbar ist. Sein Mitwirken am Turnier hat den Fokus der Medien zumindest einigermaßen in geordnete Bahnen lenken können. Nicht auszumalen, was die Boulevardblätter und Privatsender aus dieser Story sonst noch gemacht hätten. Da kann wirklich alles passieren wie man zum Beispiel an der Darstellung von Sandra Naujoks als große Turnierfavoritin sehen kann. Nicht dass wir uns falsch verstehen: das ist keine Skepsis an Sandra oder ihrem Spiel. Es ist nur einfach so, dass man in Pokerkreisen nie auf die Idee käme einen Favoriten für ein 1.000er Teilnehmerfeld zu benennen. Das ist einfach nur Unsinn und zeigt deutlich, was noch alles zu tun ist, damit Poker auch nur annähernd verstanden wird.

Sehr lehrreich war für mich auch mein Versuch Robert Werthan im Sat1 Frühstücksfernsehen zu sehen und vor allen zu hören. Ich weiß nun wieder ganz genau, warum ich kaum fernsehe. Die Sendung ist ein einziger Verweis auf die nachfolgenden Sendeminuten, in denen dann wirklich etwas passiert. Echt! „Halten Sie durch, nur noch ein wenig Werbung und dann, ja dann, Sie werden schon sehen…“ Nicht zu fassen, dass das funktioniert. Ich jedenfalls habe dem Inhalt zum Trotz ausgeharrt und plötzlich war er da, unser Pokerfirma-Augenzeuge. Er wurde befragt, ging in Denkerpose, holte Luft und dann kam Werbung. Fast! Da warte ich doch gerne noch einmal eine Stunde.

Drittens offenbarte die Extremsituation von Berlin auch einiges über die Pokerszene selbst. Sogar bei einem solch ernsten Thema echauffiert sich der geneigte Finder der Kommentarfunktion über Themen wie Warteschlangen beim Buy-in. Mit ruhigen Gewissen kann ich nun also wieder dazu übergehen, die Kommentare genauso intensiv zu lesen wie ich es vor meinen beiden letzten Beiträgen zum Thema „Poker ist Sport(+)“ getan habe.

Abrunden möchte ich meinen heutigen Beitrag mit einem zweischneidigen Ausblick: Mir graut etwas davor, dass man die Täter fasst. Auch hier möchte ich bitten, mich nicht falsch zu verstehen. Natürlich will ich, dass man sie fasst und sie bestraft werden. Aber ich bin leider davon überzeugt, dass eine Festnahme Poker ziemlich schlecht aussehen lassen wird. Schon heute musste ich in meinem Intro die Worte „Bildzeitung“, „Polizei“ und „Überfall“ unangenehm nahe an die mir sympathischen Letter „EPT“ rücken. Was, wenn die Berlin-Gangster-Story ein Gesicht, einen Namen und konkreten Hintergrund bekommt? Das kann unschön werden. Schnell ist man dann mit Generalisierungen über Spielsucht oder andere gängige Angriffe auf den Pokersport bei der Hand. Dann ist plötzlich der Täter ein Opfer des Pokersports – damit wären wir Pokerspieler dann etwa die Täter? Vielleicht würde uns dies endlich einen und das ständige gegenseitige Diskreditieren wäre beendet. Am Pokertisch darf, soll und muss jeder auf sich selbst schauen, aber damit ein Spiel überhaupt unter vernünftigen Bedingungen zusammenkommt, dafür kann und sollte man auch zusammen eintreten.

Zahler zocken – Könner kalkulieren
Stephan M. Kalhamer für

the-gambling-institute.eu
– calculated gaming –


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