Kolumnen

Amnesie

Betroffene haben es wirklich nicht leicht – die Glückspilze unter ihnen vergessen sogar, dass sie es nicht leicht haben. Vergangene Woche erwischte es auch mich. Mal wieder.

Ich wache auf und schlafe eigentlich noch. Die Augen will ich nicht öffnen, bevor ich mir die folgenden Fragen beantwortet habe: Wo bin ich? Wer bin ich. Was war passiert?
Aber nichts passiert. Panische Angst kommt auf. Ich reiße mich aus dem Bett, stolpere über unzählige leere und halbvolle Bierdosen, bekomme einen Hustanfall und speie dabei komisches Zeug aus, was sich später als Zigarettenstummel entlarvte. Widerlich.

Warum habe ich mir das angetan? Ich versuche mir krampfhaft einen Überblick zu verschaffen – die ersten Erinnerungsfetzen tauchen auf:

Versace und Dolce & Gabana Sonnenbrillen, sauteure Armbanduhren, Zahnstocher und Goldkettchen um mich herum – laute, wild gestikulierende Italiener und Osteuropäer spielen ein Kartenspiel und kommentieren dabei jede bekackte Hand. Aber was hatte ich mit diesen abstoßenden, übelriechenden Gorillas zu schaffen?

Ein Blick in den Raum. Ich bin in meinem Studentenwohnheim. Unter einem Berg Geldscheinen kommt mein Handy zum Vorschein. Ich wähle einfach drauf los. Irgendjemand wird sicher über meine Identität bescheid wissen. 5 Anrufe – 5 sich deckende Antworten, deren Inhalt sich reduzieren lässt auf:

Felix. Geldgeiles Arschloch. Losing Player.

Sehr gut. Der graue Schleier verzieht sich langsam. Im Badezimmer angekommen, will ich mich bis zum kompletten Bewusstsein vor den Spiegel stellen. Es hilft nix.
Ich ertrage diesen schrecklichen Anblick nicht lange und ziehe weiter…unter die Dusche.
Bis zum Anschlag auf „heiß“ gestellt, bekomme ich trotzdem nur eiskaltes Wasser, welches zudem nicht abläuft, da der Abfluss verstopft ist…verdammtes Wohnheim!!

Doch just in diesem Moment scheint sich das Puzzle zu vervollständigen:

Ich spielte Poker. Ich war in den Alpen. Im Casino Seefeld. Ski- und Pokertourismus vereinte sich. Der Turnierbereich war mit über 150 Teilnehmern an 16 Tischen brechend voll. Es lief gut für mich, als nur noch 3 Tische übrig waren. Jetzt kam ich zu meinem letzten von durchschnittlich 2-4 Flips, die man während eines Turniers einfach eingehen und gewinnen muss, um zumindest die Geldränge zu erreichen. Wenn die Jacks halten, ist der Final Table nur noch Formsache, dachte ich mir.
Der Flop gab mir Hoffnung, der Turn fast schon Sicherheit und der River konnte mich mal kreuzweise…dieses drecks Ass! Dieses miese, undankbare Turnierpoker!!

Trotzdem fällt es mir schwer zu glauben, dass dieser, eigentlich sehr unspektakuläre und “alltägliche“ Beat schuld an meiner Erkrankung war. Man man man – ich sollte mir dringend beibringen, profitabel Cashgame zu spielen.

Aber egal. Ich bin geheilt!


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