Kolumnen

Die Wahrheit oder Kann Aberglaube lukrativ sein?

Der ACF ist ein Cercle, eine auf Napoelons Zeiten zurückreichende Sonderkonstruktion. Ihm nahestehenden korsischen Landsleuten verlieh er das Recht, innerhalb der Stadtgrenzen von Paris, in Cercles, Glücksspiele durchzuführen. Diese Konzession wird von Generation an Generation weitergereicht und folgerichtig nur von korsischen M…osi gehalten. Der ACF ist geschmackvoll mit Gold, edlen Hölzern und alten Artefakten eingerichtet. In den 60er und 70er Jahren erreichte er dubiose Berühmtheit durch die Vermögen, die dort hauptsächlich von Exil-Iranern und Arabern am Baccaratisch pulverisiert wurden.

Unsere Partie findet im Salon-Priveé statt. Das königliche Ambiente sowie freie Speisen und Getränke sollen den Schmerz lindern, den € 100 stündliches Tischgeld verursachen. Nachdem George gerne 15 Stunden am Tag spielt und insgesamt 3 Wochen in Paris blieb, verursacht mir die Erinnerung an diese „Rake-Piraterie“, selbst heute noch, leichte Übelkeit.
Die dortige Männertoilette verfügt über 3 Urinale. Als ich mich, am linken der 3 stehend, erleichterte, klopft mir der Spieler AK mit folgenden Worten auf die Schulter: „Hey, beeil dich mal, du blockierst mein Glücksbringer-Urinal“ (für internationale Abergläubige: lucky pissbox ). Sein Anliegen wirkte leicht belustigend und lachend wünschte ich ihm gute Verrichtung.

AK, ein langjähriger Kampfgenosse, Weltklassespieler und WPT-Gewinner, ist für 2 extreme Charaktereigenschaften bekannt. Aberglaube (A) und Knausertum (K). Er will z.B. den ersten Pot des Tages nicht gewinnen (unlucky). Gewinnt er ihn trotzdem, muss er das Casino gegen den Uhrzeigersinn umrunden (lucky). Ich hatte dieses Wissen bereits mehrfach eingesetzt, da er sich bequem aus dem ersten Pot rausbluffen lässt.

Als ich am nächsten Tag nach ca. 2 Stunden Spiel auf die Toilette ging, fiel mir auf, dass besagtes Urinal defekt war. Verstopft und zum Schutz vor weiterem Zufluss mit Folie abgeklebt. Wie’s der Zufall will, hatte AK an diesem Tag einen schlechten Start erwischt. Er spielte bereits mit dem vierten Buy-In, was am € 5000 Tisch unangenehm ist. Im Brand und leicht heiß, hatte er bis dahin die Toilette noch nicht aufgesucht.

Vor meinem geistigen Auge entstand ein verwegener Plan, AK’s Aberglauben auszunutzen und ihm – oft versucht, nie geglückt – einen € 5 Chip rauszuschrauben. € 5 klingt nicht nach viel, besonders in Relation zu den Beträgen, um die wir spielten, aber ich wusste, es würde schwieriger werden, als die UDSSR zum einseitigen Abrüsten ihrer Atomsprengkörper zu bewegen.

Filigran und vorsichtig ging ich zu Werk: „Na, AK, läuft nicht so gut heute?“ „Nee, bin schon 17000 hinten.“ „Ich weiß, warum!“ Nachdem ich das gesagt hatte, lehnte ich mich zurück und beobachtete, wie meine Worte langsam einsanken. Als er nach 3 Minuten realisierte, dass ich wohl über stichhaltige Informationen verfügen muss, kam das erhoffte „Warum?“. „Tja“, meinte ich, „dieses Wissen hat seinen Preis, aber für läppische € 5 lass ich dich daran teilhaben.“ Den erwarteten Einwand „Was, wenn deine Information keinen Fünfer wert ist?“ parierte ich locker mit „Das kannst du selbst entscheiden, bei Nichtgefallen Geld zurück.“ Ich weiß, das war hoch gepokert, aber meine Zuversicht war groß, den richtigen Nerv getroffen zu haben. Zögerlich nahm AK einen €5 Chip vom Stack und warf ihn mir zu. EKSTASE-NIRWANA- oh GÖTTLICHES GLÜCKSGEFÜHL!!! Ich hatte es geschafft! Dieser Fünfer hatte das Äquivalent eines Goldstücks, ach was red ich, eines Sack Goldes oder zumindest eines Turniergewinns .

Der Rest war Formsache: „Du kannst heute nicht gewinnen, weil dein Glücksurinal defekt ist!“ AK sprang auf und lief hinaus, um den Wahrheitsgehalt meiner Aussage zu überprüfen. Zurückgekommen nickte mir AK dankbar zu und bestätigte die Legitimität unserer Transaktion.
Als ich später die Toilette aufsuchte, bemerkte ich einen vertikalen Einschnitt in der Abdeckfolie des Urinals. Daraufhin befragt, erklärte mir AK, dass natürlich er der Verursacher sei, aber er könne wohl schlecht akzeptieren, dass ein Stück Folie oder ein „angeblicher“ Defekt seinem Glück im Weg stehen.
So, jetzt lässt sich die im Titel gestellte Frage leicht beantworten:

Aberglaube kann sehr lukrativ sein – aber nur für diejenigen, die es verstehen, die verwirrten Denkschemata Abergläubiger auszunutzen!

Phillip Marmorstein


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