Kolumnen

Die Wahrheit – Spieglein, Spieglein

Was? Wie? Dieses Krankheitsbild ist doch Frauen vorbehalten! Stimmt. Ich wollte nur sehen, ob Sie auch aufpassen. In Wirklichkeit litt ich an cerebraler Konstipation, befinde mich aber auf dem Weg der Besserung.

In den Jahren 1990/91 war ich die Nr. 1 der offiziellen Backgammon Weltrangliste. Meine konstanten Turniererfolge hoben mich in diese Position, obwohl ich, sowohl nach eigener als auch nach Einschätzung meiner Kollegen, ein vergleichsweise besserer Cashgamespieler war. An Tagen mit entlüftetem Ego hätte ich mich in den Top 10 im Turnier und in den Top 3 im Cashgame gesehen. Das würde auch im Einklang mit der Tatsache stehen, dass ich nicht permanent von zockgeilen Profis verfolgt wurde, da eine Cashgame Sitzung mit mir entweder Zeit- oder Geldverlust bedeutete.

Umso erstaunter war ich, als sich ein dänischer Jungprofi an mich hängte wie ein ausgehungerter Blutegel. Er tauchte Anfang der 90er zum ersten Mal auf in Gstaad/Schweiz auf, wo er ein Doppelturnier, mit seiner Schwester als Partner, spielte und auch gewann. Der Turniergewinn wanderte langsam aber sicher in den folgenden Tagen in meine Tasche, da er jede freie Minute nur mit mir spielen wollte. Bitte, Danke – gern geschehen. Zu meiner Freude verfolgte er mich auch auf den nächsten Turnieren mit einer finanziell ungesunden Penetranz, wie ich sie zuvor noch nie gesehen hatte. Stellen Sie sich einen Boxkampf vor, bei dem der unterlegene Kämpfer jede Runde mehrfach niedergeschlagen und angezählt wird, trotzdem immer wieder aufsteht um sich noch eine Packung abzuholen.

Als er nach etwa einem halben Jahr von mir abließ, hatte ich sein Geld und er meinen Respekt. Denn Gus Hansen wollte sich einfach mit den Besten messen, von ihnen lernen und sich so verbessern. Danach sah ich ihn über die Jahre sporadisch auf Backgammon Turnieren, bis ich mich ab 1994 dem Pokern zuwandte und in diese neue Welt eintauchte.

Wir sahen uns 2001 in Paris wieder, wo wir in der gleichen Omaha Potlimit Partie mit „Greek George“ saßen. Gus war inzwischen selbst ein Weltklasse Backgammonspieler, hatte sich aber, den Geldströmen folgend, auch dem Pokern verschrieben. Auch hier hatte ich ein paar Jahre Erfahrungsvorsprung und konnte so genau beurteilen, wie er agierte.

Er hatte einen superaggressiven Stil, der sich normalerweise nicht mit Omaha-Potlimit verträgt. Dass er nicht mit fliegenden Fahnen unterging, lag an der Besetzung der Partie. Denn mit George war die ultimative Calling Station präsent, die dem aggressiven Gus am River den Pot überlassen musste, wenn er seinen Draw verfehlt hatte. Außerdem scharten sich in den Partien um George immer einige Amateure und schwächere Pros, die der Aggression nicht gewachsen waren.

Er schloss die Partie nach einigen Tagen als großer Gewinner ab, wobei die Achterbahnfahrt seines Geldpegels der einzelnen Tage bei mir Schwindelgefühle auslöste. Ich hatte den Eindruck, dass, wenn er sein Spiel etwas mehr differenziert hätte, einige negative Ausschläge zu vermeiden gewesen wären und sein Gewinn noch fetter ausgefallen wäre. Dennoch war sein Stil in sich schlüssig und abgerundet. Gus spielte angstfrei und machte konsistent gute Reads, die Visitenkarte eines guten Pokerspielers.

Mit Freude verfolgte ich seinen kometenhaften Aufstieg in der Pokerwelt, als er innerhalb von 20 Monaten 3 WPT Turniere gewann und einen dritten Platz erzielte. Hier hatte er seinen superaggressiven Stil offensichtlich in die richtige Bahn gelenkt. Es ist nicht übertrieben, ihn als Trendsetter zu bezeichnen, denn die Pokergemeinde realisierte schnell, wie effizient seine Turnierstrategien waren und kopierte sie. Man kann diesen Fakt gar nicht deutlich genug hervorheben, denn die große Masse aller Spieler verfolgt die Schäfchen-Strategie: Angstvoll blöken und immer dem Leithammel hinterher. Um neue Gedanken und Strategien zu entwickeln, bedarf es eines durchdringenden Intellekts, großen Selbstbewusstseins, um Vertrauen in die gewonnenen Erkenntnisse zu haben und einer Prise Respektlosigkeit, um erstmal alles althergebrachte Wissen zu durchleuchten und gegebenenfalls über den Haufen zu schmeißen.

Er ist Poker genauso angegangen wie seinerzeit Backgammon. Der Unterschied ist, dass es beim Backgammon immer nur einen richtigen Zug gibt, mithin ein persönlicher Stil zu niedrigerer Equity führt, während man beim Pokern durchaus individuell gestalten kann. Wenn man professionell pokert, ist es sogar sinnvoll, sein Temperament den Stil bestimmen zu lassen, den man spielt, um länger leistungsfähig zu bleiben und einem Ausbrennen vorzubeugen.

Hansen hat seinen Stil selbst entwickelt und praktiziert ihn erfolgreich in No-Limit Hold’em Turnieren. Er hat aber bei seiner Gewinnsumme von $ 5,3 Mio. nicht ein einziges Resultat einer anderen Disziplin dabei. Nicht, weil er keine anderen Turniere spielt, sondern einfach weil sein Stil sich nicht so gut für technischere Varianten eignet. Wenn man z. B. Omaha 8 or better fixed Limit spielt, ist es einfach schwieriger, eine Trashhand durchzuboxen.

Sein Stil ist auch für die Cashgames ungeeignet, die er vorzugsweise spielt. In der High-Limit Partie in Las Vegas ist er einer der größten Verlierer. Auch im Internet sind seine Resultate stark altruistisch. Naja, wo Licht ist, ist auch Schatten. Im Wesentlichen hat Gus zwei Probleme. Er kann seine Aggression schlecht modifizieren und hat eine schlechte Spielauswahl.

Hier meine ich nicht nur, dass er sich permanent mit den Weltbesten misst, sondern auch die Wahl der Sparte. Vielleicht sollte er nur Turniere spielen und seine Cashgames auf No-Limit Hold’em beschränken. Er ist nicht allein. Turniergrößen aller Schattierungen fallen im Cashgame in sich zusammen. Gewinnende Cashgame Spieler sind chancenlose Einbezahler in Turnieren. Nur wenigen Ausnahmetalenten ist es vergönnt, in allen Disziplinen zu brillieren.

Und hier sind wir bei dem Ratschlag angelangt, den ich Ihnen heute mit auf den Weg geben möchte:

Wenn Sie vorhaben, Poker mit Profit zu spielen, sollten Sie sich und Ihre Resultate mit schonungsloser Offenheit sich selbst gegenüber betrachten. Halten Sie die Disziplinen auseinander. Experimentieren Sie kontrolliert mit Stilen, bis Sie den gefunden haben, bei dem Sie sich am wohlsten fühlen. Vergleichen Sie, wobei Sie den besten Stundenlohn haben. Wenn Sie mit Multi Table Turnieren nicht weiterkommen, ist Ihre Konzentrationsspanne eventuell besser für Sit’n’gos geeignet oder Sie sind im Cashgame besser aufgehoben. Haben Sie bessere Ergebnisse in Live Games oder kommen Sie Online auf den grüneren Zweig? Und sieht’s da besser aus, wenn Sie mehrere Tische gleichzeitig spielen oder sollten Sie bei einem bleiben?

Schieben Sie Ihr Ego zur Seite und konzentrieren Sie sich auf Ihre starken Seiten, auch wenn andere Varianten mehr Spaß machen.

Phillip Marmorstein


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