Kolumnen

Ein ausführlicher Turnierbericht

Der Spielsaal ist gut beleuchtet, hat eine Kassettendecke und einen blaulila Teppich mit pinkem Muster. Die Pokertische haben einen grellgrünen Bezug und die bequemen Stühle sind rotgelb-kariert bezogen. Ich befinde mich an Tisch Nr.1 mit folgenden Gegnern:

1. Mann mit Glatze
2. Mann mit rotem Hemd
3. Grauhaariger Herr mit Ehering (wahrscheinlich verheiratet)
4. Mann mit weißer Baseballmütze
5. Frau mit blonden Strähnchen und Sonnenbrille
6. Mann mit Glatze und Ziegenbart
7. Ich
8. Mann mit Pockennarben
9. Mann mit braun-beige gestreiftem Poloshirt und Brille
10. Übergewichtiger Mann mit Brasilien Sweatshirt

Die Dealerin trägt ein elegantes silberschwarzes Kleid und spricht fließend spanisch. Das Turnier beginnt. Die Spieler auf Platz 2, 5 und 6 kauen Kaugummi. Ich verspüre einen kalten Luftzug von hinten, ungefähr in Wadenhöhe. Jemand raist. Die zweite Dealerin deckt den Flop von rechts nach links auf und spricht auch spanisch (vermutlich eine Spanierin). Ein, in einen Smoking gekleideter, Floorman bleibt kurz an unserem Tisch stehen. Ich trinke ein Cola light .Ein Spieler zeigt einen Bluff. Ab und zu spiele ich eine Hand. Dann ist Essenspause. Danach spielen wir weiter. Ein neuer Spieler kommt an unseren Tisch. Er hat ein Piercing in der Augenbraue. Ich verspüre Harndrang, beschließe aber bis zur Pause (12 Minuten) zu warten. Die neue Dealerin hat schwarzbehaarte Unterarme und spricht spanisch (Spanierin?).

Auf der Heimfahrt lasse ich das Turnier Revue passieren. Zufrieden stelle ich fest, dass alle meine Observationen akkurat waren. Naja, vielleicht klappt’s ja beim nächsten Mal.

Ach so, Sie wollten ganz was anderes wissen. Wer mit AKs, gegen wen mit 99 all-in gegangen ist? Ob ich wieder einmal mit runner-runner Flush abgemolcht wurde? Dass ich mit KK den Reraise von 8-3o gecallt und verloren habe? Würden Sie denn daraus mehr lernen?

Wohl kaum! Deswegen überlasse ich diese Art Berichterstattung denjenigen, die im Rampenlicht stehen, glauben im Rampenlicht zu stehen oder im Rampenlicht stehen wollen.

Denn die Masse will wissen, was ihre Idole denn so machen. Und die Industrie, in diesem Fall Online-Pokerseiten, wollen diese Bedürfnisse befriedigt sehen. Denn die Nachahmer, die den Weg zum Pokersuperstar einschlagen möchten, lassen sich dann bequemer online verwursten und stellen sicher, dass der Geldfluss nicht abreißt.
Die traurige Wahrheit ist aber, dass es in Deutschland gar keinen Pokersuperstar gibt. Wo sollte er denn auch so plötzlich herkommen? Die innovationsfeindliche, monopolisierte, konkurrenzdruckfreie deutsche Casinolandschaft ist sicher kein fruchtbarer Nährboden und zuhause am Computer haben noch die Wenigsten Charisma entwickelt.
Was sollten die Online- Pokerseiten tun? Denn bewährte Marketingstrategien besagen, dass man lokale Größen braucht, um neue Spieler auf die Seite zu locken. Die beste Lösung hat damals Pokerstars in Katja Thater gefunden: Wir nehmen jemanden mit Charisma, die Pokerskills entwickeln wir dann schon.

Als ich damals die Turnierstatistik des neuen „Superstars“ abrief, waren schon beachtliche € 8000 zusammengekommen .Um die Liste ihrer etwas mageren Resultate aufzupeppen, hatte ein cleverer Marketingstratege – in meinen Augen komisch und genial zugleich – zwei neue Begriffe kreiert:

I T M = in the money       und jetzt die Delikatesse:
T F P = top fifty percent

TFP, lieber Leser, schaffen Sie übrigens, bei entsprechend langsamer Blindstruktur, auch wenn Sie gar keine Hand spielen.


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