Kolumnen

In the Zone

Tiger puttet und fühlt den Ball schon ins Loch rollen, lange bevor die kleine weiße Kugel ihr Ziel erreicht hat.

Es ist das Gefühl, dass heute und jetzt nichts schief gehen kann. Es ist die Sicherheit, die alle Sportler, Künstler und Spieler ab und an haben, die Großen öfter als die Möchtegerns.

So müssen sich Lennon und McCartney gefühlt haben, als sie „Yesterday“ fertiggestellt haben.

Auch am Pokertisch gibt es das. Jeder Read sitzt, jede Aktion bringt die gewünschte Reaktion, die Bluffs sind perfekt getimed, die Konzentration ist vollkommen, der Fokus ist beängstigend. Ivey nach 30 Stunden Cash Game, Hellmuth am Final Table eines WSOP-Events, Ruthenberg bei der EPT.

„In the Zone“ nennen das die Amerikaner. In the Zone trifft gute Vorbereitung mit stählernem Willen und perfektem Timing zusammen.

In letzter Zeit bin ich oft in diesem illustren Zustand. Ich spiele jede Hand so gut, wie ich es nur kann. Alle Möglichkeiten, eine Hand zu spielen, eröffnen sich mir wie eine bunte, komplexe, aber überschaubare Welt. Ich nehme mir die Zeit, bis ich weiß, was zu tun ist, bis der richtige Weg, die richtige Line sich vor mir auftut wie ein Theatervorhang, der sich hebt und eine grandiose Szene freigibt. Und dann tue ich es. Das Richtige. Ob es ein Bluff ist, eine Overbet oder eine dünne Valuebet. Und der Gegner tut genau das, was ich von ihm will. Manchmal helfe ich verbal oder durch eine Geste ein wenig nach. Wenn es nötig ist.

Auch die Folds fallen leicht. Ein Set auf dem River spiele ich an, werde geraised, nur ein Runner-Runner Flush schlägt mich. Ich gehe die Hand noch einmal durch, lese meinen Gegenüber, weiß genau, was er von mir denkt, kenne seine Spielweise, bin in seinem Kopf. Ich folde. Ohne zu zeigen. Mit der absoluten Gewissheit, einen guten Lay-Down zu machen.

Es fühlt sich gut an. Nein, großartig, grande, magnifique. Keine Zweifel, keine „Was-wäre-wenn-Überlegungen“, kein Schmerz.

Ich bin „in the Zone“.

Wenn ich dieses Gefühl nur einfangen könnte, aufbewahren könnte, mitnehmen könnte und in den wichtigen Situationen immer wieder auspacken könnte. Tommy Angelo, einer meiner Lieblings-Pokerautoren, hat einen Artikel geschrieben mit dem Titel: „If I could bottle this“. Dieses Gefühl, würde ich auch gerne eintüten, einschweißen, in eine Flasche packen und immer zur Verfügung haben.

Leider geht das nicht. Manchmal geht es einem genau konträr, da läuft gar nichts zusammen, jeder Read ist leicht daneben, man traut sich nicht, den Bluff durchzuziehen, nur um sich eine gewinnende Hand zeigen lassen zu müssen, die aber sicher weggeworfen hätte. Dann kommen die Zweifel, das Selbstbewusstsein ist stark angeknackst.

Was ist anders?

Um in die Zone zu kommen, kann man einige Vorraussetzungen schaffen. Unablässige Konzentration und größtmöglicher Fokus sind unabdingbar. Mir hilft es, wenn ich Spaß habe am Pokertisch. Wenn mich die vielen Facetten des Spiels faszinieren, wenn mich die komplexen Situationen und die schwierigen Entscheidungen nicht abschrecken, sondern herausfordern. Wenn ich bereit bin, aus meinen Fehlern zu lernen. Wenn ich bereit bin, mir selbst einzugestehen, dass ich ausgespielt wurde, dass mein Gegner gerade besser war. Das wiederum gibt mir die Gelegenheit zu lernen, mich zu verbessern, mehr über meinen Widersacher zu erfahren und mir schon für die nächste Konfrontation eine Konterstrategie zu überlegen.

Kurz: man muss auch am Pokertisch jede Gelegenheit wahrnehmen, sich zu verbessern.

Ein Gedanke, der mich besonders gut und regelmäßig aufbaut, wenn es mal wieder nicht so gut läuft: Gibt es einen Ort, an dem ich jetzt gerade lieber wäre? Gibt es etwas, das ich in diesem Moment lieber tun würde, als hier dem Spiel zu frönen, das ich so liebe? Wenn die Antwort auf beide Fragen ein klares „Nein“ ist, dann bin ich der Zone sofort ein großes Stück näher gekommen. Ist die Antwort auf eine der Fragen positiv, ist es vielleicht Zeit zu gehen.

Wenn ich In the Zone bin, stellt sich die Frage nicht. Dann bin ich auf der absoluten Höhe meines Könnens. Kein noch so minimales Detail am Tisch entgeht mir. Ich bin mir der sich stets verändernden Tisch-Dynamik zu jedem Zeitpunkt bewusst. Ich weiß, wie meine Gegner spielen, wie sie denken, was für Ängste sie haben. Ich bin in ihren Köpfen.

Und das nutze ich gnadenlos aus. Jetzt ist meine Zeit, mein Moment. Jetzt kann mich keiner stoppen. Selbst die Karten können nichts daran ändern, dass ich perfektes Poker spiele. Ein Bad Beat ist nur ein temporärer Setback, ein kurzes Stolpern. Er lässt mich kalt, hat keinen Einfluss auf meine Spiel und erst Recht nicht auf meine Emotionen. Ich bin kugelsicher, unangreifbar, unkaputtbar. Wenn meine Hand gut ist, dann calle ich . Auch mit K-high. Wenn ich auf dem River geschlagen werde, dann folde ich. Kein Chip wird verschenkt, keine Situation ausgelassen.

Kein Fehler schleicht sich ein, jede Hand wird komplett durchdacht, egal wie lange es dauert. Ich bin eine Macht, eine Naturgewalt, ein Schauspiel. Dies ist meine Zeit.

Swoosh.

Euer Jan


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