Kolumnen

Kleine Küchenkunde

Da wir uns momentan im Internet befinden, weiß ich, dass  die folgenden Schilderungen einigen von euch wie schamloser Sensationsjournalismus vorkommen könnten. Denen, die diese Situation noch nicht erlebt haben sei geraten: macht es. Am besten noch diese Woche.

Andere von euch hingegen wissen genau, wovon ich schreibe. Ihr seid wahrscheinlich schon lange große Fans, vielleicht sogar schon vor der Zeit des Booms, so wie ich. Ihr werdet viele Kleinigkeiten wiedererkennen, vieles wird euch an euch oder eure Freunde erinnern. Und ihr werdet mal wieder Lust bekommen.

Ich rede von Live Poker Home Games.
Von jenen Pokerrunden, wo es weniger um das Geld geht, sondern eher um den Stolz. Wo jeder am Tisch einen Spitznamen hat. Keinen „Nick“ mit einem „Avatar“, sondern einen Spitznamen, den er sich erst verdienen musste, wie ein junger Indianer, der auf der Namenssuche war und nach kargen, harten Wochen im Wald wieder zu seinem Stamm zurückkehrt, als Mann.

Die Runden, bei denen es um Centbeträge geht, an einem viel zu kleinen Küchentisch, im rauchverhangenen Neonlicht. Die Runden, bei denen es erst richtig losgeht, wenn alle 2.0 Promille haben und der „Clown“ jede Hand mitkommentiert.

Hier trägt keiner eine Sonnenbrille oder einen IPod. Für die Brille ist es zu dunkel und man möche auf keinen Fall die Gespräche verpassen. Deswegen ist man ja hier.

Hier spielen Freunde und gute Bekannte. Jeder kennt jeden. Seit Jahren. Die Rollen am Tisch sind klar verteilt.
Es gibt einen Spielcaptain, meist in Personalunion mit dem Gastgeber. Er organisiert das Spiel, hat für die Kaltgetränke gesorgt (eine nicht unerhebliche Logistik-Aufgabe) und stellt die Örtlichkeiten, sowie Tisch, Karten und Chips. Idealerweise noch eine Filzunterlage oder gar einen semi-professionellen Pokertisch zur Verfügung. Eine Rake gibt es nicht, allenfalls ein Obolus für Speis und Trank. Davon sollte jeweils reichlich vorhanden sein, vor allem alkoholischer Art.

Der Clown. Der (zumindest in seinen Augen) witzigste am Tisch. Kaum eine Hand wird gespielt, ohne dass Potenzial für Comedy von ihm gesehen und genutzt wird. An ihm ist ein Poker-Experte fürs Fernsehen verloren gegangen. Seine Kommentare sind beissend und präzise, lustig und überraschend. Er versteht es wie kein anderer, die richtigen Spieler auf Tilt zu bringen, die, die es ihm langfristig nicht übel nehmen, aber kurzfristig ganz schön abgehen können.

Der Verpeilte. Einer ist es immer. Spätestens nach dem vierten Cuba Libre vergisst er die Blinds, die Einsätze und regelmäßig seine Karten. Das Spiel wird merklich verlangsamt, nicht nur direkt durch ihn, sondern auch durch seinen Einfluss auf die anderen. Allerdings ist er auch einer der liebenswertesten Charaktere in der Runde. Und – durch seine Verpeilung – eben auch einer der profitabelsten.

Der „Profi“. Es gibt ihn unweigerlich in jeder Runde. Den Möchtegern-Profi. Vielleicht überlegt er tatsächlich, mal zu versuchen, mit Poker seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zumindest lässt er seine Expertise an den anderen aus. Jede Hand wird analysiert. Meist mit dem Ergebnis, dass er fehlerfrei spielt und die anderen keine Ahnung haben. Der Küchen-Phil-Hellmuth sozusagen.

Der Tilter. Egal, wie gut es am Anfang läuft, der Tilter verlässt nie mit Geld den Tisch. Irgendwann kommt der Zusammenbruch. Meistens kündigt er sich schon von weitem an. Unaufhaltsam ist er immer. Aber irgendwann, irgendwann wird auch er mal mit viel Geld nach Hause gehen. Wenn er es nicht vorher vertiltet, natürlich.

Der Wilde Hund. Er erhöht jede Hand, gibt immer Vollgas. Gegen die passiven Spieler macht er Gewinn. Ob er den auch mitnimmt, hängt von seinem Können gegen die guten Spieler ab. Von seinem Spielstil her ist er –  wie der Name schon sagt – ein Underdog. Aber er hat mit am meisten Spaß, da er jede Hand spielt und große Schwingungen verbucht.

Charaktere gibt es noch zuhauf. Sie unterscheiden sich in den Nuancen von Runde zu Runde, von Stadt zu Stadt. Aber irgendwie sind sie sich und uns ähnlich. Poker verbindet.

Diese Live-Runden in ihren mannigfaltigen Ausführungen sind eine große Leidenschaft von mir. Die Einsätze sind nebensächlich, es geht um die Stimmung. Wer eine solche „Küchenrunde“ hat, der weiß wovon ich spreche. Wer keine hat, der braucht eine. Und zwar dringend.

Schaut euch mal „The Odd Couple“ an. Ein brillanter Film mit Walter Matthau und Jack Lemmon. Die Pokerszene ist spektakulär. Poker, the way it is meant to be played.

Ladet mich mal in eure Küche ein, in meiner seit ihr immer willkommen.

Euer Jan


2 Comments
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Christoph Weber
14 Jahre zuvor

Und was wenn die Küche ein Lokal ist? Und man nur auf Nachfrage kommentiert aus seinem Buchwissen? Und wenn man aus dem Mini Turnier draussen ist preflop keiner mehr raist und man sich die Finger wund mischt? Dann ist Zeit fürs nächste Bier 😀

Robbie Quo
14 Jahre zuvor

das du eine solche einladung annimmst wäre mir eine sidebet wert ! in meine küche passt ein 10er tisch und das anbiente das die küche in einem schloss ist wäre doch auch nicht schlecht. 4 gäste bestimmst du, 4 gäste ich. na, wie wäre es jan………???