Kolumnen

Tom Waits lächelt – Warum ich kein Millionär bin

Peter Eastgate hat es geschafft. Er ist mehrfacher Dollarmillionär und ich bin das nicht. Manchmal tut mir das ein wenig leid, aber nicht wirklich sehr oft. Ich kenne jemand, der ist auch ganz plötzlich ganz reich geworden und von dem möchte ich an dieser Stelle eine kleine, schräge Geschichte erzählen. Ohne pädagogischen Ansatz und ohne großen Sinn. Nichts zum angeblich einfachen Nachdenken und wer Moral sucht und findet, hat sich wahrscheinlich verlesen.

Damals, als die Schallplatten noch schwarz und lang waren und meine Pläne golden und groß, hatte ich diesen Bekannten, der immer schon absichtlich nicht zu meinen Freunden gehörte. Er war in denselben Lokalen, bemühte sich um dieselben Kellnerinnen und hatte meist genau so nichts in der Tasche, wie ich nichts in der Tasche hatte, wenn sich die unbarmherzige Sperrstunde näherte und man sein prinzipiell zahlunsgwilliges Aufschreibegesicht aufsetzen musste, damit die Zeche der Nacht mit einem fetten blauen Kugelschreiber in ein ebenso fettes Schuldenbuch aufgeschrieben wurde.

Ganz plötzlich war mein Bekannter reich. Verdammt reich, weil er geerbt hatte. Groß geerbt und die ganze Welt sollte es wissen und um dieses Zuwachs des Weltwissens maximal zu beschleunigen, stand jetzt immer ein Rolls Royce mit Chauffeur vor meinen Lokalen, die nicht wirklich meine waren und in denen eben besagte wunderschöne Kellnerinnen arbeiten, die durchaus manchmal meine wurden.

Man gewöhnt sich an alles, auch an einen plötzlich reich gewordene Bekannten, der ebenso plötzlich viele neue Freunde hat und sonderbar halbglasig rosa getönte Sonnenbrillen, die den blasierten Zug um den Mund wohl absichtlich ein wenig betonen sollen. Und da war noch dieses wunderschöne Mädchen hinter der Bar, die ein wenig aussah wie die junge Kate Pierson von den  B52s und mit der ich – für meine damaligen Verhältnisse – grundsolide und ernste Absichten hatte, weil sie mir so gut gefiel und überhaupt es Zeit schien, sein Leben ein wenig zu ändern. Aber das schien sie nicht zu interessieren, so wie ich als Person für sie ganz offenkundig kein wenig interessant war, obwohl ich eigentlich immer da war, wenn sie da war. Oder vielleicht gerade deshalb.
Ich hatte meinen speziellen Platz an der Bar. Saß einfach da, wartet und litt in meinem liebeskranken Schmerz. Und mein Leiden steigerte sich gewaltig, als ich sah, dass meinem reichen Bekannten eine weitere Sache gelang, die mir wohl für immer verwehrt bleiben würde.

Ein paar Tage später saß ich an der Bar, als diese Liaison offenbar bereits Teil des Weltwissens war und nur ich bis zu dem Zeitpunkt vom faktischen Vollzug nicht erfahren hatte oder es wohl einfach nicht wahrhaben wollte. Mein halbrosa bebrillter Bekannter inmitten seiner neuen Freunde und seine Beute der Nacht emsig arbeitend an der Cafemaschine. Eigentlich ganz nah, aber für mich unendlich fern. Einen Schinkenkäsetoast und ein kleines Bier hatte ich bestellt  – als Frühstück für den Liebeswunden auch heute immer noch eine vertretbare Empfehlung.

„Und dann habe ich der Sau alles in den Mund gerotzt. Alles in den Mund, ich sag’s euch“. Wenn man wirklich reich ist, lachen die falschen Freunde gleich doppelt so laut, aber für mich waren das deutlich mehr an Details, als ich wissen wollte und so ließ ich Käseschinkentoast und kleines Bier stehen. Im Schuldenbuch würde sich schon noch ein Plätzchen finden und verließ das Lokal für immer.

Zwei Jahre später hatten wir immer noch die 80er Jahre und Tom Waits, der damals schon aussah, wie er heute aussieht und wohl noch immer dieselben Sakkos trägt, war in der Stadt. Eigentlich war das Konzert schon vorbei und nur die unentwegten Optimisten trampelten und brüllten um eine weitere Zugabe. Das Personal des Hauses hatte seinen Unmut über diese nicht endend wollende Vorstellung im Hochfahren aller verfügbaren Lichter hell und laut herausgeschrieen und ich stand da in der ersten Reihe hilflos eingeklemmt, als sich Tom Waits ein weiteres Mal alleine und ohne Musiker auf die Bühne bemühte.

„The Piano has been drinking (Not me)“ sollte es sein. Ein in seiner Zerbrechlichkeit wuchtiges Intro und dann eine unvermittelte und nicht eingeplante Pause. Aus den Untiefen den Sakkos ein Zigarette und in Ermangelung eigener Zündhölzer ein hilfesuchender Blick ins Publikum. Aber zuerst war da niemand der half, weil wir alle in Stolz erstarrt waren. Wir durften dabei an diesem einen Abend an dem Tom einfach nicht zu spielen aufhören wollte. In diesem Moment der sakralen Hilflosigkeit spürte ich in meiner Seite einen schnaufenden Mann, der sich nicht nur unbezwingbar nach vorne drängte, sondern sich auch noch quer über den Bühnenrand beugte und Tom Waits etwas zuwarf, das dieser mit behänder Eleganz auffing.

Zwei Jahre hatten ich meinen reichen Bekannten, der absichtlich nicht mein Freund war, nicht gesehen und jetzt stand ich neben ihm und unserer Körper berührten sich von oben bis unten. Seine halbrosa Brille scheuerte knapp an der Spitze meines Kinnes und neben meinem Ohr, seine brüllende Stimme: „Keep it Tom! Keep it Tom! It is a present! For you! Please keep it Tom!” Und da sah ich was Tom Waits da in seiner feuerlosen Not gefangen hatte. Ein schwer goldenes Feuerzeug. Außen verziert mit protzigem weißen Chinalack und einem Stein, der funkelte und sicher funkelte, weil er echt war. Die Art Feuerzeug, die man bekommt, wenn man ein reiches Arschloch ist und ins teuerste Geschäft der Stadt geht, um das Teuerste zu kaufen, was gerade lagernd da ist.

„Please keep it Tom! Please! It is for you!“ – Da wurde mir ganz Angst und Bange. Musste mir der alles, was ich hatte und woran ich glaubte kaputt machen und macht es dann noch Sinn zu leben, wenn man nicht viel hat und auch gar nichts unternimmt, um viel zu haben, weil man nie so sein will, wie er ist. Ganz blass muss ich wohl geworden sein und ganz starr, während Tom Waits sich seine Zigarette anzündete, um dann das schwer goldene Arschlochfeuerzeug auf dem angeblich trinkenden Piano abzulegen, so als sei es jetzt seines und so als ob er zu den anderen gehören würde und nicht zu mir.

Wieder ein paar Takte. Wieder ein Innehalten. Wieder die paar Schritte zum Bühnenrand. In der Hand das weiße Teil auf dem gnadenlosen und unbarmherzigen Rückweg zu seinem Besitzer, dessen hysterisch flehendes und doch vergebliches  „Please keep it Tom“ ich in meinem Glück gar nicht mehr hörte. Und dann kam dieser Moment, den mir niemand nehmen kann und den man niemals verlieren kann, wie man neun Millionen Dollar wieder verlieren kann. Tom Waits beugte sich ein kleines Stück zu mir, schenkte mir ein ebenso kleines Tom Waits Lächeln, bevor er sich mit einem nochmaligen kleinen Zwinkern verabschiedete zurück zum Klavier wo sein Platz war.
Mein schnaufender halbrosa bebrillter Bekannter hatte den Ort der Schmach samt seinem goldenen Chinalackfeuerzeug wieder verlassen. Wahrscheinlich saß er bereits in seinem Rolls Royce, der ihm auch nichts mehr nützen konnte. Ich stand auf der Straße, eine Zigarette in der Hand und keine Streichhölzer in der Tasche, aber ich war trotzdem zufrieden und vor allen Dingen war ich stolz, dass ich ich war und niemand anderer. – Und das bin ich heute noch.


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