Das war Antonio Esfandiaris zentraler Interviewkommentar – direkt nachdem er das Big One geshippt hat und damit historische gut 18 Mio Dollar abgeräumt hat. Er habe den ganzen Tag fest daran geglaubt, dass er gewinnen wird. Weiter fügt er süffisant hinzu: „Manchmal passiert es dann tatsächlich so.“
Tags zuvor hatte mein Freund und Kollege Jürgen Bachmann im Vorübergehen zufällig den Tonus eines Pausentelefonats von Antonio mitgehört. Darin redete er sich förmlich in Rage. Wild gestikulierend überzeugte Antonio seine ganze Umgebung davon, wie gut er sich fühlt und dass er gewinnen wird! Antonio hat Herausragendes geleistet und dieses angekündigt. Ich will nicht sagen, dass er es deshalb gewonnen hat. Dafür bin ich viel zu sehr Realist. Aber schaden tut positives Denken und der Glaube an die eigene Chance sicher auch nicht!
Nachstehender im Original englischsprachiger Artikel ist von Antonio fürs aktuelle BLUFF Magazine verfasst worden. Tim Reese, der ebenso wie Antonio teils iranische Wurzeln hat und dessen Spiel stets aufmerksam verfolgt, ist selbst Pokerspieler und Mitglied unseres Duplicate Poker Weltmeisterteams. Er hat Antonios Beitrag dankenswerterweise übersetzt. Ich halte es für bereichernd, ihn zu lesen. Viel Vergnügen dabei. Schaden tut er jedenfalls sicher nicht. 😉
Zahler zocken – Könner kalkulieren
Stephan Kalhamer für
gaming-institute.de
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Juli 2012 BLUFF Magazine, Antonio Esfanidari
(in freier deutscher Übersetzung von Tim Reese)
Count your Blessings!
Es ist der Beginn der World Series of Poker. Ich habe der gesamten Welt mitgeteilt, dass ich die nächsten 45 Tage beschäftigt bin und mich im Voraus dafür entschuldigt, in dieser Zeit für nichts und niemanden zur Verfügung zu stehen. Keine Ausnahmen!!!
Das galt solange bis am nächsten Tag der Vater meines Freundes starb. Die Beerdigung findet morgen in Los Angeles statt und so sehr ich mir auch wünsche, nicht morgens um 6 Uhr aufstehen zu müssen, um nach L.A und wieder zurück zu fliegen, handelt es sich hier um etwas, von dem ich weiß, dass es das Richtige ist.
Mein Freund Max ist erst 22 Jahre alt und hat in den letzten zwei Monaten jeden wachen Moment seines Lebens im Krankenhaus an der Seite seines Papas verbracht. Bei seinem Vater wurde vor einigen Jahren Krebs diagnostiziert. Er besiegte die Krankheit ehe sie vor ein paar Monaten wieder mit voller Wucht ausbrach.
Niemand im Alter von 22 Jahren sollte mit dem Verlust eines Elternteils konfrontiert sein. Ich habe großen Respekt dafür wie Max mit der Situation umgegangen ist. Er stand seinem Vater bis zum letzten Moment zu 100% bei.
Solche Dinge machen mich wirklich nachdenklich wie kurz unsere Zeit auf dieser Welt doch ist. Wir stellen uns schimpfend hin und beschweren uns darüber, dass wir gerade ausgesuckt wurden, unser Essen zu spät serviert wurde oder irgendeinen anderen Unsinn, der schlicht und einfach irrelevant für unser Glück ist. Was ist mit der simplen Tatsache, dass wir am Leben sind? Jeder, der sich über irgendetwas belangloses aufregt, sollte sich mal die Zeit nehmen zu realisieren, dass man auf dieser Welt verweilt und atmet und – um es nicht unerwähnt zu lassen- einen Lebensstandard genießt, der weit über dem Durchschnitt liegt. Allein der Umstand, in diesem Land leben zu dürfen, garantiert dies. WE ARE LUCKY FUCKERS!!!
In keinem Artikel, den ich jemals verfasst habe, habe ich meines Erachtens geflucht, doch hier fühle ich, dass ich meinen Standpunkt deutlich machen muss.
Ich will, dass jeder, der diese Zeilen liest, folgendes versucht: Das nächste mal, wenn Ihr Euch über irgendetwas beschwert, möchte ich, dass Ihr Eure Augen schließt und Euch selbst sagt, dass Ihr am Leben seid – und das ganze fünf mal wiederholt. Wenn Ihr eure Augen wieder öffnet lasst Ihr alles, was Euch gestört hat, einfach gehen. Schüttelt es einfach ab! Wer braucht oder will diese Art von negativer Energie um sich? Ich weiß, dass dies einfacher gesagt ist als getan aber lasst es auf einen Versuch ankommen und schaut, wohin es euch bringt.
Wir sind die Schöpfer unseres eigenes Glücks. Es ist ausschließlich unsere Wahl, glücklich zu sein oder nicht. Ich habe mich dafür entschieden, glücklich zu sein. Ich habe mich dafür entschieden, keine Badbeat-Stories zu erzählen. Ich habe mich dafür entschieden, mich nicht von Kleinigkeiten stören zu lassen. Bei mir hat es lange gedauert, mental dort anzukommen, wo ich gerade stehe, doch mit 33 Jahren habe ich einen Sinn für mein wahres Ich erhalten.
Der arme Max hat keinen Vater mehr. Ich liebe meinen Vater mehr als alles andere auf diesem Planeten. Er ist mein Ein und Alles. Die Vorstellung, er könnte eines Tages nicht mehr da sein, ist unerträglich. Ich bin so glücklich, dass er im Alter von 69 Jahren noch so lebenslustig ist. Im Moment verweilt er in Guatemala, um an einer örtlichen Schule Spanisch zu lernen. Das ist etwas, was er schon seit Jahren machen wollte und jetzt tut er es einfach.
Die Moral von der Geschichte ist, dass Ihr immer danach gehen solltet, was Ihr wollt. Wie viele Menschen kennt Ihr, die in ihrem Leben nicht das tun, was sie wollen? Worauf warten die Leute? Das Leben ist schneller zu Ende als man glaubt und Zeit zu verschwenden ist einfach keine Option.
Schreibt Eure Ziele und Träume auf, erklärt sie für erreichbar, ebnet den Weg dafür, dass sie Realität werden und ich verspreche Euch, sie werden es. Aber Ihr müsst daran glauben!
Morgen werde ich Max fest in den Arm nehmen. Ich werde ihn drücken und ihm sagen, dass ich ihn liebe. Warum muss erst jemand sterben, um sich einem Freund verletzlich zeigen zu können? Warum haben wir Männer Probleme, unsere Verletzlichkeit gegenüber anderen offen zu zeigen? Es ist nichts falsch daran, Tränen zu vergießen. Wir wissen alle wie gut es ist, manchmal einfach alles rauszulassen. Wie erleichtert fühlen wir uns doch oft, nachdem wir geweint haben.
Also Leute, hört auf euch damit zu beschäftigen, was andere Leute denken. Dass nächste Mal, wenn Ihr Euren Vater, Euren besten Freund oder irgendjemanden, den Ihr liebt, seht, dann gebt ihnen eine 10er-Umarmung (10 auf einer Skala von 1 bis 10), schaut direkt in ihre Augen und sagt: „ICH LIEBE DICH“. Für keinen anderen Grund als sie es einfach wissen zu lassen. Ihr wisst nie, ob Ihr jemals wieder die Möglichkeit dazu bekommt oder besser: Ihr wisst nie, ob Ihr niemals wieder die Möglichkeit dazu bekommt.
Antonio Esfandiari
Poker like a Rockstar
Dieser Artikel ist im englischen Original in der Juli 2012 Ausgabe des Bluff Magazine zu finden. Die Ausgabe kann online hier bestellt werden.