Kolumnen

Der Schmetterling auf der Suche nach Nektar

So sind wir Pokerspieler. Kleine Tiere in der großen Welt. Auf der Suche nach Nektar, nach Honig, nach der Erfüllung. Auf dem Weg ins Paradies.
Ja, das hört sich paradiesisch an. Ist es aber nicht wirklich, weil natürlich jeder andere dasselbe Ziel hat. Es kann nur einen geben, der den Nektar schlürft und den mehr als süßen Sieg genießt. Alle anderen sind Verlierer. Einer sieht den Engel der Karten, alle anderen sind teuflisch bedient.

Ein Pokersieg ist wie eine Südseeinsel. Auch wenn es Robinson Crusoe irgendwann einmal langweilig wurde. Aber immer noch besser als im Osten Englands zu versauern. Bei ewigem Nebel, lauwarmen Bier, schlechtem Essen und unattraktiven Frauen. Nein, wahrlich kein Gartenbach Eden. Nettes Wortspiel. Der Pokertisch als Zustand der Glückseligkeit. Als Schlaraffenland. All you can win. Erhabenheit statt kirchlicher Fiktion.

Beim Poker erwarten uns keine 72 junge Frauen; eher fühlt sich ein Seat Open im zweiten Level an wie eine 72-jährige Jungfrau. Aber auch das liegt in Gottes Hand. Nicht alles im Paradies ist paradiesisch. Poker als Kirche der Neuzeit. Mit Messwein und Oblaten, die wir Insider Chips nennen. Das Gefühl des leichten Dahinschwebens wechselt sich ab mit unparadiesischem Groll, mit Frust und schlechter Laune. Intensivste Gefühle. Die eigene Schöpfungsgeschichte.

Poker also als Paradies, als Fluchtpunkt und als Gegenpol zur normalen Welt. Und es funktioniert. Allen Unkenrufen zum Trotz. Poker ist nicht tot, wie uns viele Menschen glauben lassen wollen. Poker hat Bestandschutz und ist trotzdem im Wachstum begriffen. Das zeigen aktuell fast alle Turniere. Rekorde über Rekorde, wohin man schaut. Ein Teilnehmerzahlrekord jagt den anderen. Alle auf der Suche nach dem Nektar. Und wie in der biblischen Geschichte, so ist es auch beim Main Event der WSOP. Nach sieben Tagen wurde es erschaffen.


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