Kolumnen

Kleider machen Leute?

Liebe Pokerfreunde, woran erkennt man einen erfolgreichen Pokerpieler? Klar, am Chiphaufen vor ihm. Und sonst? An ausufernden Partys? Das ist wohl eher etwas für Hotelerbinnen. Oder an sieben Kilogramm Edelmetall an den Extremitäten?
Das sieht man wiederum nur in der Rapperszene und in schlechten Gangsterfilmen aus den frühen 80er Jahren. Oder prangt sein Konterfei regelmäßig auf dem Forbes-Magazin? Nur, wenn der Spieler Donald Trump oder Bill Gates heißt. Nun, woran erkennt man also einen erfolgreichen Pokerspieler? Noch nicht mal am Outfit. Bei mir spiegelt das Outfit nicht meinen Kontostand, sondern mein Lebensgefühl wieder. Jeans, T-Shirt und Sneakers. Locker, leicht und bequem. Von außen betrachtet ein Typ, wie er in jeder Stadt und in jeder Straße herumlaufen könnte. Richtig, ich bin ja auch nichts Besonderes. Außerdem ist das Outfit ja eine Art der psychologischen Kriegsführung im Hinblick auf die Mitspieler.

Einer macht auf Cowboy, Outlaw oder Gangster, ein anderer spielt die Rolle des Macho, wieder ein anderer entscheidet sich für den James-Bond-Look. Aber keiner meiner Kollegen ist als erfolgreicher Pokerspieler zu erkennen. Lediglich eingefleischten Fans sind die Gesichter bekannt. Und das ist auch gut so. Doch manchmal, gerade wenn man auf das Erreichte besonders stolz ist, kann es zu ärgerlichen Begegnungen kommen. Nach einem meiner letzten großen Potts wollte ich mich für ein gutes Turnier belohnen. Ich habe geschwitzt, ich habe geblufft, ich hatte erhöhten Puls und am Ende den richtigen Riecher. Da kann man sich schon mal was schenken. Für mich war die Belohnung schon lange klar: eine ganz bestimmte Uhr, die ich dank ihres etwas erhöhten Preises bisher nur im Schaufenster beobachten konnte. Diesmal wollte ich sie haben. Ich betrat den namhaften – jedoch hier nicht genannten – Juwelierladen und stand mitten im Raum, in der Hoffnung, dass mich irgendein Verkäufer ansprechen würde. In Jeans, T-Shirt und Sneakers. Ich wurde zwar bemerkt, aber die Bediensteten des Geschäfts schienen ihr Gespräch über die neuesten Taschen aus Mailand und Madrid für entschieden wichtiger zu halten. Also machte ich mich selbstständig auf den Weg durch den Raum, auf der Suche nach der richtigen Vitrine, bis ich sie endlich fand. Das gefiel den Tratschtanten am Ende des linken Verkaufstresens wohl nicht, da sich plötzlich eine gestriegelte Blondine in den mittleren Vierzigern von dort löste. Die Haare so streng nach hinten gekämmt, dass es aussah, als würde sie mit dieser Art Frisur versuchen, die ansetzenden Fältchen um Augen und Mund straff zu ziehen. Und alles an ihr passte zu dieser Frisur: das graue Kostümchen, die Pumps, die dezente Perlenkette im nach oben geschnürten Dekolleté und die rahmenlose Brille, durch die sie mich von oben bis unten abschätzig betrachtete.

Ich war ein wenig amüsiert. „Guten Tag“, sagte sie sehr gelangweilt und blähte ihre Nasenflügel, nur um hinzuzufügen: „Sie interessieren sich für Uhren?“ Ich wollte ihr eine Chance geben, also antwortete ich: „Ja, was halten Sie von dieser hier?“, wobei ich auf meine Belohnung wies. „Nun“, sagte sie, „diese Uhr? Ich hätte da drüben einige Exemplare, die wohl eher zu Ihnen passen.“ Mit diesen Worten deutete sie auf die Glaskästen mit den günstigeren Exemplaren und den Sonderangeboten. In diesem Augenblick war ich froh, dass ich die 5000 Euro in Cash dabei hatte. Ich holte das Bündel Hunderter und Fünfhunderter beiläufig aus meiner Hosentasche und sagte: „Ich glaube ganz im Gegenteil, dass genau diese Uhr mir gefallen würde.“ Sie bemerkte das Geld und ich bemerkte, dass sie es bemerkte, denn ihre Miene hellte sich deutlich auf und der Ton, den sie danach anschlug, war viel freundlicher. „Aber gerne, mein Herr, ich werde mal kurz den Schlüssel für den Schrank holen.“ Ich setzte mich, nahm anstatt des angebotenen Kaffees nur ein Wasser an und verstrickte die Verkäuferin in einen kleinen Smalltalk: „Sagen Sie, werden Sie eigentlich auch mit Provision bezahlt?“ Sie bestätigte meine Vermutung und erwiderte: „Ja, wir werden schon am Umsatz beteiligt.“ „Nun, dann haben Sie heute ja ein schönes Taschengeld in den Wind geschossen. Und das nur, weil Sie die ersten viereinhalb Minuten nicht gelächelt haben.“ Ich schnappte mir mein Geld, ließ die Uhr, das Glas Wasser und eine irritiert schauende Verkäuferin zurück und ging ein paar Meter weiter zum weniger namhaften Juwelier. Dort wurde ich angelächelt, nett beraten, dort schaute man mir in die Augen und nicht auf die Schuhe und dort wurden innerhalb von zehn Minuten 5000 Euro umgesetzt. Kleider machen Leute? Trifft nicht immer zu … Also, liebe Freunde, für welchen Style ihr euch auch immer entscheidet: Bleibt gesund und munter und euch selbst immer treu!.


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