Kolumnen

Makrokosmos Facebook

… oder wie die Generation Gesichtsbuch lebt, liebt und leidet. Das Web 2.0, unendliche Weiten: Wir schreiben das Jahr 2010. Dies sind die Abenteuer von Sandra Naujoks, die mit ihrem Apple tagtäglich im Netz unterwegs ist, um neue Welten zu erforschen.

Viele Lichtjahre von intelligentem Leben entfernt, stößt sie dabei in Bereiche vor, die vielleicht noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat. Hier ihr Bericht:

Nachdem ich heute morgen meine Mails gecheckt, meinen Facebook-Status aktualisiert, meine Strafzettel per Online-Banking bezahlt und 2 Heads-ups in Folge gegen den gleichen Donk verloren habe, entschließe ich mich nach hundertmaligem Abwägen für einen Kurzbesuch beim Bäcker meines Vertrauens. Ich habe soviel Lust aufs Aufstehen wie Jesus auf Karfreitag. Und für die Apfeltaschen will ich mich jetzt auch nicht noch extra hübsch machen. Ungeschminkt, mit Sneakers, einer kurzen Jogginghose und Socken, die farblich nicht zum Geldbeutel passen, trete ich vor die Tür … als direkt vor mir ein Bus voller Eishockeyspieler hält. Na, der Tag fängt ja gut an. Ob ich auch die Zeitung mitnehmen möchte, fragt mich die Verkäuferin im Backshop. Zeitung? Das ist doch das Medium, wo man erfährt, was gestern im Internet stand. Nö, brauch’ ich nicht. Das ist eindeutig eher was für die Generation Füllfederhalter.

Zu Hause angekommen, besteht meine erste Tat darin, mein WLAN umzubenennen. Es heißt jetzt „google_messwagen_25“. Mal sehen, wie die Nachbarschaft darauf reagiert. Ein Nachbar übrigens, habe ich rausgefunden, ist auch bei Facebook. Letztens postete er, hätte er aus Versehen einen 100-Euro-Schein in seiner Jeans mitgewaschen – und jetzt fürchtet er eine Anzeige wegen Geldwäsche.

Tsss, Statusmeldungen gibt’s! Mein ehemaliger Fahrschullehrer zum Beispiel freut sich über die Einführungspreise im neuen Bordell und mein alter Freund Elton postet: „So, ab heute Urlaub, werde also nächste Woche nicht oft hier sein. Leider.“ 285 Personen gefällt das. Bei Fabian war letztens was los auf der Pinnwand. „Fabian Schmidt ist jetzt in einer Beziehung mit Markus Klopke“ hieß der geänderte Beziehungsstatus. Simone: „jetzt nicht wirklich ihr zwei.“ Thorsten: „Homos!!“ Fabian selbst: „Welcher Penner war in meinem Account?!“ O Mann. Ganz anders erging es Thomas. Er schrieb: „Morgen an alle. Ich brauch mal eure Hilfe! Wo war ich gestern? Wie bin ich heim? Wieso steht ein Einkaufswagen in meinem Garten? Wo ist mein 100-Euro-Schein hin? Wem gehört der BH? Danke für eure Hilfe …“ Nun ja. Aber noch spannender als die Statusmeldungen sind die Gruppen. Ich persönlich bin bei folgenden dabei: „Ich habe bei Rambo geweint“ und „Mehr schöne Männer in Pornos“. Aber es gibt auch so Blödsinn wie: „Ich kaufe ein A und löse Bockwurst“, „Scheiß Party. Wenn ich meine Hose finde, geh ich heim“ oder „Memoiren einer Klobürste – es war nicht alles Scheiße.“ Was soll man dazu sagen …? Jeder bekommt die Gruppen, die er verdient.

Überhaupt, diese neue Kultur der Selbstinszenierung: Identity made by Facebook. Wenn man sich durch die Profile klickt, wähnt man sich auf der Homepage einer Pariser Modelagentur. Aber wehe, man trifft die Kandidaten live! Dabei gestaltet sich die Partnersuche so simpel: einfach den Test „Welche Freunde sind sexuell kompatibel zu dir?“ ausfüllen und losflirten. Gut, ich kann mir nicht erklären, warum mir mein Vater als erster Vorschlag genannt wurde, aber das liegt sicher an den Doppelgängerwochen, die gerade stattfinden. Ich habe ihm schon ein paarmal geposted, er solle das Foto von George Clooney gegen das von Mickey Rourke austauschen, dann kämen wir der Wahrheit sehr nahe. Ich selbst konnte mich für keine Doppelgängerin entscheiden. Angelina Jolie ist zu dick und Megan Foxs Augen werden meinen nicht gerecht. Dann bleib’ ich eben ich. Man muss ja nicht jeden Trend mitmachen, wie die Millionen anderen Nutzer auf ihren Profilen.

Wo wir gerade beim Thema sind: Zeig mir dein Profil und ich sag’ dir deinen Schulabschluß. Liebe Güte, es gibt Profile, da möchte ich instinktiv die Spülung betätigen! Da sieht der Freundeskreis bei manchen schon mal aus wie eine JVA-Insassenliste und das Fotoalbum wie Screenshots des letzten Snoop-Dogg-Gähn-Pornos. Ich möchte auch nicht wissen, wie viele der 50.000 Daniela-Katzenberger-Freunde anomym auf ihr Profil masturbieren. Apropos anomym: Neuerdings kann man auch die Profile von Politikern anstupsen. Ich vermisse die Funktion „Schütteln und anschreien“. Und wer hat bitteschön die Option „Beziehungsstatus“ erstellt? Warum kann ich denn nicht „Swinger“ auswählen? Und was heißt denn hier: „Es ist kompliziert“?

Kompliziert ist nur, dass ich meine Gottesdienst-Kalender-App noch nicht mit meinem iCal syncronisieren kann. So, ich muss jetzt aber wirklich mal rumtwittern. Es muss doch rauszufinden sein, warum mein iPhone bei eingeschaltetem Flugmodus nur genausoweit fliegt wie bei deaktiviertem. Mal sehen, was meine 8000 Freunde da für Erfahrungen haben. Ah, Moment. Hier poppt noch ein Quiz auf: „Welches McDonald’s-Produkt bist du?“ Mal sehen … eine Apfeltasche. Aha. Hm … noch eine? Na, ich kann’s mir ja leisten. Ich renne ins Bad zu Lippenstift und Wimperntusche, streif’ mir das champagnerfarbene Kleid über, ziehe meine neuen Manolo-Blahnik-Highheels an, die sich übrigens ganz wunderbar mit dem bronzefarbenen Lidschatten ergänzen, und mach’ mich auf den Weg. Diesmal bin ich gewappnet für eine Busladung voll mit Handballern. Leben 1.0 … ich komme!.


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