Kolumnen

Zeit der Superlative und der Selbstherrlichkeit

Trotz aller Fragen zur Gegenwart und auch zur Zukunft – die Pokerspieler trotzen allen Umständen und Widrigkeiten mit großer Entschlossenheit. Mit Mut und Lust und Laune. Mit orgiastischem Halleluja. Im Prinzip immer; an jedem einzelnen Tag im Jahr; vor allem aber zu Zeiten der World Series of Schönste Kartenspiel in Las Vegas. Poker ist zu groß, zu schillernd schön, zu sehr Sehnsucht, zu viel Ort der Erinnerungen, zu alt, zu bedeutend, zu sehr mit Aufsässigkeit belegt, zu verdichtet in seiner Mitte, auch wenn es an den Rändern schon ausfranst, als das es zulassen würde, dass wir es nicht lieben.

foto 14.6. wsopPoker ist derzeit im Mittelpunkt des kulturellen Lebens. Nicht ganz vielleicht, aber knapp hinter der Fußball-Europameisterschaft, dem Hunger in Afrika, dem 85. Geburtstag der Oma und dem Terror. Und dem Unwetter. Und der möglichen Fertigstellung des Berliner Flughafens. Und den Wechselabsichten von Lewandowski. Und der Möglichkeit, das Trump Präsident werden könnte. Der Donald aller Donalds. Wir leben derzeit keine bangen Momente, außer denen am Turn und River. Die Zeit ist geprägt von Armbändern, Erfolgen und großartiger Kartenkunst. Und Glück und Pech. Viel Pech, logischerweise, sonst hätten viel mehr Spieler ein Bracelet geholt. Der Alltag findet geraden nicht alltäglich in Vegas statt. Özil geht zum Ärger der AfD-Irren nach Mekka, die Pokerspieler haben ihr Mekka in der Sonne Nevadas gefunden. Auch hier wird ab und zu dann mal gebetet. Dieses One-Time-Amen. Flehentlich vorgetragen, mit einer dennoch charmanten Erbittlichkeit. Als hinge das wahre, tatsächliche Leben davon ab.

Poker erlebt gerade die Zeit der Sonnenstrahlen, der Sorglosigkeit und erinnert an einen schönen sonntäglichen Vormittag auf dem Marktplatz von Saint Emilion. Mit phantastischem Rotwein und mit relevanter Begleitung. Ja, wir lassen uns nicht und von niemandem traumatisieren. Von keinen schlechten Nachrichten, die wir verdrängen. Poker steht hier für ein Versprechen. Eine Zusage in die Zukunft. Verbunden mit einer selbstherrlichen Selbstverständlichkeit. Unverrückbar in der Idee und in gemeinsamer Partnerschaft. Ja, wir lieben uns selber. Weil wir dieses Spiel leben. Und das Leben rund um dieses Spiel.

Auf das unser Leben so sein wird. Auf das der River mit uns sei. Hier und jetzt. Heute und nächste Woche. Möge das der geeignete finale Satz in diesem Text sein; dem wohl besten Text, der jemals über Poker geschrieben worden ist. Ein Pamphlet für die Zukunft.


Abonnieren
Benachrichtige mich bei
6 Comments
Inline Feedbacks
View all comments